Doing Gender, Doing Nature?

Geschlecht und Ökologie in der Forschung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frauen erfreuen sich seit alters her einer besonderen Nähe zur Natur und pflegen ein inniges Verhältnis zu ihr, ja sie sind ihrem innersten Wesen nach selbst Natur - so jedenfalls das übliche Bild gängiger Männerphantasien. 1999 nahmen sich die ReferentInnen einer Bielefelder Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie des Verhältnisses - nein, nicht von Frauen zur Natur - sondern der Geschlechter zur Natur an, deren Erträge ergänzt durch eine Reihe weiterer Aufsätze nun in Buchform vorliegen. Der von Andreas Nebelung, Angelika Pofert und Irmgard Schultz herausgegebene Band enthält sowohl grundlegende theoretisch Erörterungen als auch empirische und praxisorientierte Aufsätze. Mit ihnen sollen (de-)konstruktivistische Ansätze für die Soziologie fruchtbar gemacht und der, wie Nebelung in der Einleitung konstatiert, in der Umweltsoziologie "bislang noch stark vernachlässigte" feministischen Diskurs und die Geschlechterforschung belebt werden. Inhalte, Theorien und Methoden von Gender Studien sollen allerdings nicht als Sonderthemen in die Umweltsoziologie aufgenommen werden, vielmehr geht es um die "systematische Integration" von Gender als "Querschnittskategorie". Denn andernfalls würden die "für den Gegenstand der Disziplin konstitutive Dimensionen und Struktureigenschaften" verfehlt.

Ein begrüßenswertes Unterfangen also. Doch bewegen sich nicht alle Beiträge des theoretischen Teils auf der Höhe des Gender-Diskurses. Jost Halfmanns Aufsatz lässt eine allenfalls oberflächliche und halb verdaute Lektüre gegenwärtiger GendertheoretikerInnen und feministischer DekonstruktivistInnen vermuten. Anders lässt es sich zu mindest kaum erklären, dass er behauptet, der "'gender'-Begriff" meine die "Abbildung der Natur/Gesellschafts-Differenz auf idealtypisches soziales Handeln (weibliche vs. Männlicher Handlungstypus", und die Auffassung vertritt, sich "dekonstruktivistisch verstehend[e]" Feministinnen betonten die "Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur, nämlich die zwischen 'männlich' und 'weiblich'". Darüber hinaus kann nach Halfmanns Ansicht von Patriarchat nicht mehr die Rede sein. Vielmehr sei die "Benachteiligung von Frauen" eine Folge "kontingenter selektiver Mechanismen, die empirisch auf der Ebene von Organisationen zu lokalisieren" seien. Sein 'wohlwollendes' Fazit lautet, dass sich der Feminismus nunmehr immerhin zur Frauenforschung gemausert habe und nun nur noch den "Anschluss an wissenschaftliche Gesellschaftstheorien suchen" müsse.

Dass andere Beitragende an diesem kaum verhohlenen Antifeminismus wenig Gefallen finden, wundert nicht. So attestiert Elvira Scheich Halfmann in ihrem Beitrag "Frauen und Männer in der TechnoScience" zurecht, dass er die "Männerphantasien" eines "weiblichen 'Direktzugriffs auf Natur' [...] lediglich in verdrehte[r] Form" fortschreibt, und rückt im weiteren fast en passant einiges von dem gerade, was Halfmann schief darstellt, ohne direkt Bezug auf ihn zu nehmen.

Platziert sich Halfmanns 'traditionelle' Soziologie am einen Ende des Spektrums theoretischer Zugänge, so repräsentiert Nebelungs Versuch einer "poetischen Soziologie" das andere. Besondere Aufmerksamkeit verdienen jedoch die Texte von Irmgard Schulz und Paula-Irene Villa, die den vielleicht wichtigsten Beitrag des Bandes verfasst hat. Schulz bezieht sich auf Foucault, Butler und - ebenso wie Scheich - insbesondere auf Donna Haraway. Im Unterschied zu Butler beharre Haraway auf der "Notwendigkeit, die naturwissenschaftliche[n] Annahmen immanent zu dekonstruieren". Das sei zielführender als Butlers Versuch einer "ganzheitlich[en] Dekonstruktion". Umweltsoziologie, die "entlang der Grenzziehung zwischen Natur-Kultur-Bestimmungen" operiere, könne und müsse als "produktiven Kern ihres Selbstverständnisses" die Erkenntnis fruchtbar machen, "nichts anderes als partiale Dekonstruktion entwickeln zu können". Schulz' Aufsatz wartet in diesem Zusammenhang mit bedenkenswerten Überlegungen und Ansätzen auf. Zu monieren ist hingegen, dass Details ihres einleitenden historischen Abrisses nicht immer ganz verlässlich sind, etwa wenn sie Lou Andreas-Salomé ohne weiteres dem Feminismus um 1900 zurechnet und ihr stark metaphysisch konnotiertes Diktum der "Kräfte des Alls" mit dem heutigen Begriff der Umwelt gleichsetzt.

An ihr kürzlich erschienenes Buch "Sexy Bodys" (vgl. literaturkritik.de 3, 2001) anknüpfend trägt Villa mit ihrem Aufsatz "Natürlich Queer?" einmal mehr zur Klärung des Verhältnisses von Natur, Kultur und Geschlecht bei. Soziologisch, so Villa, ist es allenfalls von geringer Relevanz, "was Natur ist". Viel wichtiger ist die Frage, was zur Natur gemacht beziehungsweise erklärt wird und wie dies geschieht. Bei der Beantwortung setzt sich die Autorin in fruchtbarer Weise mit Judith Butler auseinander. Butlers "abstrakt formulierte Pointe", dass "jegliche Materialisierung einer Norm eine Verfehlung" sei und eine "'Anrufung' im Lacanschen Sinne keine I(i)dealen (Geschlechtskörper)" produziere, sondern "an der Norm der Natur scheiternde Identitäten", sei "kein theoretisches Hirngespinst" einer Theoretiker "im Elfenbeinturm", sondern vielmehr eine "alltagsrelevante Analyse". Jedoch fehle bei Butler, so moniert sie, "systematisch und durchgängig" jeglicher Hinweis, "wie sich Diskurse im und nicht nur am Körper materialisieren". Unter Rückgriff auf die Unterscheidung von Leib und Körper in der Ausformulierung Gesa Lindemanns sucht Villa die Lücke in Butlers Theorie zu füllen und kommt zu dem Ergebnis, dass "das, was tief und unmittelbar gespürt wird, [...] die Natur des Geschlechts" ist. Hiergegen ließe sich leicht einwenden, dass Gefühle und Empfindung nicht kulturinvariant sind. Sogar das Spüren selbst ist nicht nur kulturell vermittelt, sondern letztlich ein kultureller Akt.

"Wenn sich Frauen wie Männer fühlen können, wenn sie von anderen als Männer wahrgenommen werden - sind sie dann nicht auch Männer? Was fehlt ihnen, um ein wahrer, natürlich Mann zu sein?" fragt die Autorin rhetorisch im Rahmen ihrer Darlegungen queerer Praktiken. "Doch eigentlich nichts", lautet ihre lapidare Antwort. "Körperformen können nachmodelliert, ersetzt oder für verzichtbar erklärt werden." Was nicht fehlen darf ist allein "das Wissen um die Relevanz [...] des (diskursiven) Körper-Wissens und der leiblichen Empfindungen". Empirisch-praktische Erfahrungen belegen, was sozialkonstruktivistische Ansätze behaupten: "wie sehr Natur ein kulturelles Produkt" ist. Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, wieso Villa überhaupt am Begriff der Natur festhält. Aber schnell wird klar, dass sie nicht auf einer wie auch immer gearteten oder erkennbaren 'Natur an sich' beharrt, sondern Natur ausschließlich als analytischen Begriff auffasst. Denn der Clou verschiedener sozialkonstruktivistischer Zugänge ist es gerade, dass die "analytische Trennung" von Natur und Kultur "in einem produktiven Sinne beibehalten" werden kann. Natur, so Villas Fazit, ist "nicht (mehr) das Nicht-Soziale, das Universelle, das 'Objektive'", sondern vielmehr ein "besonders hartnäckiges, besonders schwer zu hinterfragendes und besonders schwer zu änderndes alltagsweltliches Konstrukt".

Ein Manko sowohl von Villas ebenso wie auch von Schulzens Beitrag besteht darin, dass sie Carmen Gransees wichtige Untersuchung "zum Problem identitätslogischer Konstruktionen von 'Natur' und 'Geschlecht'" (vgl. literaturkritik.de 7/8, 2000) nicht in ihre Überlegungen einbeziehen. Ein Manko, dass sie mit sämtlichen anderen Beiträgen teilen.

Titelbild

Andreas Nebelung / Angelika Poferl / Irmgard Schultz (Hg.): Geschlechterverhältnisse, Naturverhältnisse. Feministische Auseinandersetzungen und Perspektiven der Umweltsoziologie.
Verlag Leske und Budrich, Leverkusen 2001.
320 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3810030643

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