Die exponierte Biographie

Julia Kristeva ist von Hannah Arendt fasziniert

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kein Zweifel, Julia Kristeva schätzt Hannah Arendt sehr. Sie ist fasziniert von deren "exponierter Biographie" und ihrem genialen Denken. Woran mag es liegen, dass mir trotzdem während der Lektüre dieser 380 Seiten nie ganz klar geworden ist, was denn genau diese Begeisterung bei Kristeva hervorruft. Zugegeben, Arendts Texte sind manchmal einem undurchdringlichen Urwald gleich, aber einer Denkerin wie Kristeva müßte es eigentlich gelingen, sich ein paar wenige klare Wege durchs Dickicht bahnen zu können. Stattdessen richtet sie sich wohnlich darin ein und vergrößert die Unordnung, indem sie ihre eigene Philosophie nicht mehr auseinanderzuhalten vermag von der Arendts.

In der Auseinandersetzung mit Arendts Denkbegriff beispielsweise kommt Kristeva auf die Psychose zu sprechen, ohne in irgendeiner Weise zu begründen, worin der Zusammenhang zwischen Arendts Vorstellung des "Zwei-in-Einem" und einer Ich-Spaltung wie im Fall der Psychose denn nun wirklich besteht. "Die derart herausgestellte Spaltung des denkenden Ich verweist unübersehbar auf die psychoanalytische Erkundung der Psychose". Ein paar Zeilen weiter heißt es dann: "Die Verdrängung erspart uns das Bewußtsein dieser Verdoppelung." Wie kommt Kristeva zu dieser Schlussfolgerung? Hannah Arendt selbst hätte sicher nicht von Verdrängung gesprochen, wenn es darum geht, dass wir selbstverständlich nicht ständig nachdenkende Wesen sein können, uns also auch nicht immer im Zustand des "Zwei-in-Einem" befinden. Aber nicht weil wir verdrängen, sondern weil wir eben auch handelnde Wesen sind.

Es wimmelt in Kristevas Buch von solchen denkerischen Hauruck-Akten. Als Leser wird man herumgewirbelt in einer ungeheuren Vielfalt an Denkanstößen, die wie große Blöcke vor einem stehen und verstandesmäßig schlichtweg nicht zu bewältigen sind. Es ergibt sich kein Gespräch zwischen diesen beiden so spannenden Denkerinnen. Kristeva lässt ihre Leser ratlos zurück.

Dennoch sind der zweite und dritte Band der Trilogie über "Das weibliche Genie", in denen sich Kristeva mit Melanie Klein und Colette beschäftigt, mit einiger Spannung zu erwarten.

Titelbild

Julia Kristeva: Das weibliche Genie. Hannah Arendt.
Übersetzt aus dem Französischen von Vincent von Wroblewsky.
Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2001.
388 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3825701867

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch