Licht aus, Spot an

Walter Schüblers Nestroy-Biographie in dreißig Szenen

Von Judith LiereRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Liere

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seinen 200. Geburtstag am 7. Dezember diesen Jahres hätte er gewiss ohne großes Aufsehen gefeiert: Denn was Johann Nepomuk Nestroy gar nicht leiden konnte, war "aufdringliches Kokettieren mit lauter übertriebenen Vorzüglichkeiten". Umso mehr hätte ihm aus diesem Grunde wohl Walter Schüblers "Biographie in 30 Szenen" gefallen, die passend zum Jubiläumsjahr im Residenz Verlag erschienen ist.

"Es wird hier gar nicht erst der Versuch unternommen, irgendein 'Bild' zu entwerfen oder zu vermitteln" oder hinter "das 'Geheimnis' Nestroy zu kommen". Ein ungewöhnliches Vorwort für eine Biographie, doch die Aufrichtigkeit des Autors zahlt sich aus: Schübler gelingt es, in einzelnen Schlaglichtern ein amüsantes Portrait des 'wienerischen Shakespeares' zu zeichnen. Er widersteht der Versuchung, den nur lückenhaft dokumentierten Lebenslauf mit eigenen Mutmaßungen zum Ganzen zu runden und präsentiert stattdessen dreißig in sich abgeschlossene Kapitel, die jeweils einen Themenkomplex behandeln und dabei noch genügend Raum für eigene Schlüsse lassen - und so insgesamt vielleicht mehr Licht ins Dunkel bringen als so manche 'konventionelle' Biographie.

Der Biograph tritt dabei hinter den zahlreichen Zeitzeugen zurück, die mit Zitaten aus Briefen, Theaterzeitungen und anderen überlieferten Dokumenten ein lebendiges und vor allem authentisches Bild des Possenschreibers und Schauspielers Johann Nestroy entstehen lassen. Auch Berichte der Wiener Polizeidirektion tragen ihren Teil dazu bei, und so erfährt man, dass das Privatleben des Carltheater-Ensembles "durch Schulden und Unzucht bemakelt" gewesen ist. Besonders der spätere Direktor Nestroy kommt dabei schlecht weg, er verliert 1859 - im Alter von 58 Jahren - einen Vaterschaftsprozess gegen eine 17-jährige Schauspielerin des Ensembles.

Vor allem der Mensch Nestroy und nicht so sehr der Stückeschreiber steht im Zentrum dieser Biographie - und damit auch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Neben seiner Todesscheu und der Leidenschaft für das Kartenspiel stellt Schübler vor allem Nestroys Verhältnis zu seinen Mitmenschen heraus: die streng durchorganisierten "geheimen Liaison's", das kurze Eheleben mit Wilhelmine Nespiesni, die von Krisen gebeutelte Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin Marie Weiler und natürlich sein wechselhaftes Verhältnis zu Kritik und Publikum. Denn genauso lebhaft wie viele seiner Possen, Parodien und Lokalstücke gefeiert wurden, wurden auch einige von Kritikern gnadenlos verrissen und vom Publikum erbarmungslos ausgezischt. Jede Nestroy-Premiere war ein Ereignis, das Carltheater immer mehr als ausverkauft - man befand sich "in der allergepreßtesten Lage, in welcher sich noch jemahls Menschen können befunden haben", wie ein Zuschauer berichtet -, und die Masse wollte gut unterhalten sein. Einmal war die Reaktion im Saal derart ungehalten, dass Nestroy entrüstet forderte: "Kanonen, Kanonen! Zusammenkartätschen die Canaille da unten!"

Aber Walter Schübler weiß nicht nur mit amüsanten Anekdoten zu unterhalten: Kapitel über Nestroys Sprachgebrauch, seine Komik und seine Stücke fehlen nicht und liefern umfassende Einblicke. Und so kann man dem Biographen nur in einem Punkt widersprechen: Ein 'Bild' wird entworfen in diesem Buch, und zwar eines ohne Weichzeichner, Schönfärbungen oder Retuschen von seiten des Portraitisten - was es umso treffender macht.

Titelbild

Walter Schübler: Nestroy. Eine Biographie in 30 Szenen.
Residenz Verlag, Salzburg/Wien/Frankfurt 2001.
318 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3701712271

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