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Paul Metcalf in der Auseinandersetzung mit seinem Urgroßvater

Von Irmgard Johanna SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmgard Johanna Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schreiber sitzt in seiner kreativen Stube, dem heimischen Dachboden. Bücher bis unter die Decke, Gerümpel, Koffer, eine große Schreibtischplatte, Fenster mit Aussicht in den Himmel. Die alten Eichenbalken bilden nur in der Mitte, wo sie sich treffen, Raum um aufrecht zu stehen. Er nimmt sich einen Atlas, fährt in Gedanken die Routen nach, die das Segelschiff auf seiner langen Reise nahm. Eigene Vergangenheit, Gefühle und Gedanken, Erlebnisse und Ungereimtheiten - wie der deformierte Bruder Carl - vermischen sich mit Textpassagen aus Büchern von Herman Melville. Captain Ahab ist in Paul Metcalfs Gedankenwelt genauso real wie seine Frau, die ihn zum Abendessen ruft. Paul Metcalf wurde 1917 während des ersten Weltkrieges geboren und starb 1999. Mütterlicherseits hat er einen berühmten Urgroßvater - Herman Melville -, väterlicherseits war er mit Roger Williams verwandt, dem Gründer des Staates Rhode Island.

Die Erblast der Vorfahren scheint schwer zu wiegen. So ist das im Jahre 2000 erschiene Buch "Genua" eine permanente, mitunter schon penetrante Auseinandersetzung des Urenkels mit dem Urgroßvater. Die tagebuchartigen Geschichten und Episoden wechseln sich, durch Kursivdruck kenntlich gemacht, mit Melvills Zitaten ab. Schön erzählt sind die Kindheitserinnerungen: grüne Wiesen, verschrobene Persönlichkeiten, manchmal Einsamkeit und auch viel familiäre Liebe. Und von den grünen Wiesen, wieder hin zum gelben Haus in dem die Familie wohnt, geht es zum Bruder Carl, der ein Verbindungsstück ist zwischen dem Jetzt und der alten faszinierenden Welt des Urgroßvaters. Bruder Carl ist für Paul ein Mysterium, er taucht auf, verschwindet wieder, wird für tot gehalten, kehrt zurück, scheint verschollen zu sein, taucht wieder auf, er ist ein einziges Abenteuer. Leider wirkt das ständige Hin und Her zwischen Autobiographischem und Zitaten Herman Melvilles, nach einigen Geschichten ermüdend, denn "Genua" ist eine Sammlung von Erzählungen. Dafür erhält man einen tiefen Einblick in die Gedanken und Gefühlswelt des Autors, die er in angenehmer Erzählmelodie wiedergibt.

Titelbild

Paul Metcalf: Genua. Geschichten von unerhörten Begebenheiten. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Anke Schomecker.
Edition Peperkorn, Thunum/Ostfriesland 2001.
232 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3929181266

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