Die Nilpferdpeitsche hat natürlich auch ein Herz

Wiglaf Droste legt die "Die Rolle der Frau" vor und irritiert nicht nur die Provinz

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Buchrücken ein Zitat der "Kieler Nachrichten": "Wer hätte das gedacht, daß Wiglaf Droste so charmant sein kann." Wer hat es denn nicht gedacht? Wenn man einmal Wiglaf Droste auf seiner Lesetour zusammen mit Sibylle Berg gesehen hat, verwundert das nicht. Da klimpert er - für seine Verhältnisse - enthusiastisch mit den Wimpern und gibt den verkappten Womanizer und für einen Moment wünscht man sich, dass beide ein Paar wären. Während die Zuhörer Applaus klatschen, nachdem Droste vor Berg kniend eine Huldingung ausgesprochen hat, denkt man sich, es gäbe vielleicht noch Hoffnung für die Welt. Ein Mirakel ist da eher ein kleiner Absatz in einem "Spiegel"-Artikel von Reinhard Mohr, der seit Monaten auf der Wahrheitsseite der "taz", also dort, wo wöchentlich eine Kolumne von Wiglaf Droste erscheint, genüsslich gedisst wird. Aus der Entfernung betrachtet hat man so den Eindruck, als sei Mohr einer von Drostes zehn Lieblingsfeinden und einer der zehn Gründe, warum Droste überhaupt schreibt. Und dann steht doch tatsächlich im "Spiegel", in Mohrs "Zeitgeist"-Artikel "Berlin nach Diepgen - Die Ängste der Intellektuellen" (das schreit ja schon nach einer Erwiderung seitens Droste): "Nur Wiglaf Droste, der Weltphilosoph und Dirty old man aus Kreuzberg, hat keine Angst vor niemanden..." Um was geht es hier? Der idiosynkratische Droste als Reinkarnation von Charles Bukowski und Sir Karl Popper zugleich? Eine unerwartete Huldigung aus verschmähtem Munde, eine Art Anbiederung? Oder doch nur ein weiteres Zeichen für das unübersichtliche Gemenge in der Berliner Republik? Die Provinz ist wieder einmal ratlos. Und dann schaltet man nachts den Fernseher ein und sieht Wiglaf Droste bei Volker Panzer im "Nachtstudio" wie er, weniger Weltphilosoph, eher schwitzender Häuptling Eigener Herd, Belanglosigkeiten über Bob Dylan ablässt und kurz nach 01.00 Uhr zu singen beginnt.

Vielleicht sind das alles Rückzugsgefechte gegenüber einer postulierten Generation Golf, der Wiglaf Droste in seinem aktuellen Band "Die Rolle der Frau", eine Zusammenstellung seiner Kolumnen, die gezündete Handgranate vor die Füße rollen lässt. Zum Beispiel in seinem furiosen Text "Things behind the Golf", in dem er sich die Frage stellt, "wie Nick Drake in einen Golf geriet". Es geht um diesen Werbespot für die neue Golf-Reihe von VW, in dem vier Mittzwanziger in einem Golf-Cabriolet durch die Nacht cruisen, zu einer Party kommen, sich anblicken und dann durch Blickkontakt beschließen, doch lieber weiter alleine in ihrem Cabriolet durch die Sommernacht zu fahren. Der Spot ist unterlegt mit dem Song "Pink moon" von Nick Drake, einem schwer depressiven Songwriter aus den siebziger Jahren, der im Alter von 26 Jahren durch eine Überdosis Anti-Depressiva ums Leben kam.

"Daß im Werbespot die Mischung aus dumm & dreist genuin zu sich selbst findet, ist nicht neu. Ob aber die Creativ-mit-C-Creativen, die diesen 'Generation-Golf'-Film ersannen, eine Ahnung davon haben, was sie da zusammenrührten? [...] Ist es Infamie - oder doch eher ein höherer Wink mit dem Alleebaum: Hey, Knusperköpfe, macht's wie Nick Drake, und vor allem: macht's gut? Darf man das so verstehen?"

"Zum Soundtrack für Cabrio fahrende Flitzpiepen, für C&A&H&M-Kleiderständer taugen Nick Drakes Lieder gar nicht. Oder sollte die durch Beschwörung ihrer selbst so lästige 'Generation Golf' in Wahrheit ein Selbstmörderclub sein? Wollen die jungen Menschen und ihre Werbespotler wirklich Anlaß geben zu solch schönen Hoffnungen?"

Eine Seite weiter: eine Rezension von Johnny Cashs drittem Teil seiner "American recordings". Johnny Cash als der wahre Gegenpart zu denen, die nur vorgeben, Outlaws zu sein. "Zwei, drei wilde Jahre machen sich noch in der angepaßtesten, strebigsten Lebensgeschichte gut." Und wieder der Versuch einer Grenzziehung: Der gehört zu uns, und ihr habt keinen Anspruch auf ihn! Doch auch und gerade Johnny Cash ist schon lange in Besitz genommen worden von denen, die Wiglaf Droste attackiert. Das ist kein Grabenkampf mehr, da der Gegner das Interesse an einer Auseinandersetzung verloren hat, sondern das sture Festhalten an alten Größen, die sich irgendwie historisch herübergerettet haben, und, im Falle Johnny Cashs, einen Song über Garth Brooks und Konsorten schreiben. "Country trash". Ohne zu berücksichtigen, dass eine Masse an Leuten in ihrem CD-Regal die neue Cash neben der alten Brooks eingeordnet haben. Man kann Johnny Cashs spätes musikalisches Vermächtnis würdigen, ohne auf Streberbiographien zu verweisen. Der vermeintliche Gegner hat das Interesse an der Auseinandersetzung verloren, da er Johnny Cash auch für sich entdeckt hat. Es sind nicht nur die zwei, drei Jahre politisch korrekter Unangepasstheit - Johnny Cash begleitet mich auch während meiner Karriere, darüber hinaus: ich verdanke ihm doch meine Karriere, und noch einen Schritt weitergedacht: ich kann auch zu jeder Zeit wieder zum Outlaw werden!

Genau hier stößt man auf den Sabine-Christiansen-Dauergast: Hans-Olaf Henkel. Selbstironisch und böse schreibt Droste:

"Einmal saß ich mit Hans-Olaf Henkel im selben Flugzeug. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt. Gäbe es einen Gott, einen guten und gerechten Gott, er hätte das Flugzeug abstürzen und zerschellen lassen. Schließlich saß ich im Flugzeug, und ein Gott, der sich diese Gelegenheit entgehen ließe, wäre eine ziemliche Schlafmütze. Andererseits saß ja auch Hans-Olaf Henkel im Flugzeug - weshalb Gott es keinesfalls abstürzen lassen konnte, denn er hatte noch Großes vor mit Hans-Olaf Henkel. Eine knifflige Sache, Gott im Patt quasi, und die Frage, ob es ihn denn gäbe, mußte wieder einmal offen bleiben."

Insgesamt gut fünfzig Kolumnen sind es, die meistens versuchen, den Leser zuerst an der Gurgel zu packen und ihn dann mit Provokationen, Zuspitzungen, Übertreibungen und seltsamen Sentimentalitäten in den Arsch zu treten. Eine Konstante darin ist vielleicht die ständige, unterschwellige Frage nach dem abwesenden Gott, die oftmals, fast immer ins Lächerliche gezogen wird. Und die als weniger ernst gemeint erscheinen will, es aber trotzdem ist. Mag es metaphysischer Bombast sein, doch die Frage bleibt, wie man selbst mit Radikalisierungen umzugehen vermag, seine Texte sind selten satirisches Entertainment. Dass Droste manchmal danebengreift, verstärkt bloß die Dringlichkeit. Doch irgendwie bricht Droste diesen tiefschürfenden Ernst auf eine Art und Weise, die seine Abgrenzungsstrategie in punkto Musik unterläuft: "Die Rolle der Frau" und sofort assoziiert man Judith Butler, Elisabeth Bronfen bei Volker Panzer, Alice Schwarzer, Quotenregelungen, Sabrina Setlur und die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Doch Wiglaf Droste meint mit der Rolle der Frau etwas vollkommen anderes:

"Ich spreche von einem kleinen Halbmond unter dem Nabel. Schöne Frauen haben sie, die Rolle der Frau - die süße, kleine Rolle am Bauch. Einmal, als sehr junger Mann, schrieb ich mit einem schwarzen Edding genau diese Worte auf die hübsche Bauchtasche der neben mir Schlummernden: Die Rolle der Frau. Sie erwachte - und fragte mich nicht unempört, ob ich sie noch alle hätte. Ich hoffte doch, gab ich zur Antwort... Weil aber in den achtziger Jahren Frauen und Männer erbitterter [...] aufeinander einhieben, als sie dies heute tun, brachte die Sache mir doch Verdruß ein. Vielleicht lag es aber auch daran, daß der Edding acht Tage lang nicht abging."

Das ist schön, das ist traurig, das ist gut.

Titelbild

Wiglaf Droste: Die Rolle der Frau und andere Lichtblicke.
edition TIAMAT, Berlin 2001.
214 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3893200444

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