Gelernt ist gelernt

Frédéric Beigbeder betreibt mit seinem Roman "39,90" Eigenwerbung

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Alles ist käuflich: die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie, ich." Wissen wir. Werber sind narzistisch, drogensüchtig, pervers. Diese Klischees und dergleichen mehr führt uns ein Mann vor, der bereits als Nachfolger des bösen Literatur-Buben vom Dienst, Michel Houllebecq, benannt wird: Der französische Autor Frédéric Beigbeder. Der neue ,Skandalautor' war vormals Texter bei einer renommierten Werbeagentur und verdiente als Sprücheklopfer vermutlich noch besser als an seinem neuen Roman "39,90". Doch als Autor hat man den höheren Stand. In einer anderen Traumfabrik. Im Literaturbetrieb.

"Schriftsteller sind Nestbeschmutzer. Literatur ist immer Verrat. Ich wüsste keinen anderen Grund, Bücher zu schreiben, als zu petzen". Protagonist Octave Parango stellt sein Vorhaben gleich zu Beginn vor. Er ist Mitte Dreißig, erfolgreich, dennoch unzufrieden als Texter in der Werbung. Er kokst und pflegt nach einer unglücklichen Liebe nur Beziehungen zu Prostituierten. Schreibt seinen Report aus der Reklamewelt - eine Mischung aus Tagebuch, Krimi und Einmaleins der Weltmacht Werbung. Für den intellektuellen Background sorgen reichlich Zitate: aus der Bibel, von Platon, Karl Marx und Michel Houllebecq.

Octave gibt sich, gleich seinem Schöpfer Beigbeder, fest entschlossen, seinen Platz in der literarischen Tradition der Nestbeschmutzer und Systemverächter zu festigen: "Die Welt ist irreal, außer wenn sie zum Kotzen ist."

Verschiedene Erzählebenen und wechselnde Perspektiven - Reflexionen, Skizzen, Szenen, Dialoge - schichten sich im Roman an- und übereinander. Rückblickende und verharrende Sequenzen stückeln den zeitlichen Verlauf - eine verwickelte, spannende, den Leser fordernde Art der Erzählung.

Doch der Werber sitzt, ach, nach wie vor als zweite Seele in des Autors Brust. Und Klichees kleben allzu hartnäckig: Klar wollen die Chefs der Joghurt-Firma zur Markteinführung eines neuen Produkts nicht die neuen Ideen der Kreativen vom Dienst, sondern einen langweiligen, mittigen, möglichst nicht polarisierenden Spot, wie er so oder ähnlich tausende Male zuvor produziert worden ist. Natürlich wird die nicht zu erotische, joghurtlöffelnde, dunkelhäutige Darstellerin - dem vermeintlichen Publikumsgeschmack entsprechend - nachträglich am Bildprogramm aufgehellt.

Zum Ausgleich, und wie zum Beweis des kreativen Potentials eines unterforderten Texters finden sich im Roman zwischen Verschwörungstheorien aus der verhassten Welt von Coca-Cola, Öllobby und Genmanipulation immer wieder kleine Skripte für Werbespots. Jedoch agiert der Protagonist selbst- und systementhüllend: So preisen die kleinen Drehbücher also Huren an oder Kokain.

Die Mischung aus Systemkritik und Erzählung hält über lange Strecken ihre Spannung. Nach zweihundert Seiten zornigen Ansturms des traurigen Helden Octave gegen die Welt, die ihn nährt und zugleich zerstört, scheint die Wut aber verraucht: Leise und lau macht sich der finale Lebensentwurf des Protagonisten zum Ende des Romans aus - und auch der Traum vom Paradies fern von Medien und Konsum wird schlussendlich wieder zurückgenommen.

Die Werbung ist eine Krake. Wer sich je in ihre lockenden Arme begibt, für den gibt es wohl nie mehr ein Entrinnen. Die Worte des deutschen Autorenfilmers Rainer Werner Fassbinder sind wohl Programm für diesen Roman: "Man muss zumindest versuchen zu beschreiben, was man nicht verändern kann."

Titelbild

Frédéric Beigbeder: Neununddreissigneunzig. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Grosse.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001.
272 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3498006177

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