Von Istanbul bis Wasserlos

Großartige junge deutsche Literatur, vorgestellt von Jamal Tuschick in "MorgenLand"

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Doch, es gibt noch gute junge Literatur im deutschen Dichterland, nach der es sich zu suchen lohnt. Wenn man sich nur ein bisschen umschaut, dann gibt es sogar eine ganze Menge davon. Fragt man nach den Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Literatur, so findet man diese vor allem bei denjenigen Autoren, die einerseits die literarischen Traditionen kennen und berücksichtigen, sich aber andererseits von diesen niemals in ihren Handlungsspielräumen einschränken lassen.

Diese Autoren haben es gewiss nicht nötig, sich in der unsäglichen Schublade "Pop" verstauen zu lassen, soviel ist sicher. Von den zutiefst konservativen Attitüden der derzeitigen Nachwuchs-Bestseller muss sich also nicht unbedingt explizit distanziert werden; vielmehr ist dies eine Selbstverständlichkeit.

Es gibt diese Literatur, man muss sich nur umschauen, und vielleicht findet man sie nicht unbedingt dort, wo man sie erwartet. Jamal Tuschick hat sich umgeschaut, hat gesucht und gefunden und in seiner Anthologie "MorgenLand Land" "neueste deutsche Literatur" zusammengetragen. Ungewöhnlich an ihr ist, dass sie von Autoren stammt, die zwar allesamt in Deutschland leben, jedoch - zumindest zur Hälfte - ausländischer Herkunft sind. So stehen sie immer zwischen zwei Kulturen, der ihrer Eltern und der ihrer Umgebung. Und obwohl sie mit uns das gleiche kulturelle Umfeld teilen, haben sie dennoch eine Distanz zwischen sich und den "Alemannen". Sie haben einen besonderen Blick auf dieses Land - er entlarvt die so vertrauten eigenen Gewohnheiten und Verhaltensmuster um sie ungewöhnlich und manchmal auch lächerlich erscheinen zu lassen. Zugleich geben Sie ihr eigenes Leben in und mit dieser Gesellschaft präzise wieder.

Doch sollte die Nationalitätenfrage nur ein Nebenaspekt sein. Viel interessanter ist die Qualität der meisten Texte.Wie selbstverständlich wird zwischen literarischer Tradition und Gegenwart balanciert, ohne dass die den Texten immanente Frische zu einer künstlichen Zwangs-"Freshness" abzustumpfen droht.

So haut gleich zu Beginn Vito Avantario dem Leser und ganz "Alemania" eine sprachgewaltige Hasstirade "ins gesicht", die zeigt, wie falsch man liegt, wenn man sich Nichtdeutsche immer als radebrechende Gastarbeiter vorzustellen wagt, und wie unglaublich eindimensional unsere ganze Wahrnehmung nur auf unseren eigenen Kulturkreis fixiert ist: "es ist schluß mit den kuschelalis, schluß mit den lustigafros und schluß mit all den anderen alemannenarschbackenblankpolierern aus dem deutschen kanakistan".

Von diesen zornigen, und gleichzeitig dichten, komprimierten Texten finden sich einige weitere, darunter das ausgezeichnete Vorwort "Ihr habt Angst vor unserem Sperma" von Jamal Tuschick und Feridun Zaimoglu. Daneben werden aber auch ganz einfach Geschichten erzählt, etwa die von einer seltsamen Wahrsagerin, von einem Trip in die Niederlande oder von einem "Mann namens Borell", und natürlich auch Liebesgeschichten und Gedichte.

Selbstverständlich finden sich auch einige bekanntere Namen - Franz Dobler und Maxim Biller etwa und doch sind es vor allem die vielen unbekannteren Autoren, die durch ehrliche, direkte Texte begeistern: Zoran Drvenkar in "Zuckerfrei" oder Tarek Dzinaj mit "It".

Nicht alle Texte sind über Zweifel erhaben, einige sind Durchschnitt, andere großartig stilsicher, sprachgewaltig und vor allem: unterhaltsam. Schluss mit den Schubladen. Schluss mit den großen Markennamen. Schluss mit den Designeranzügen. Und im MorgenLand geht die Sonne auf.

Titelbild

Jamal Tuschick (Hg.): Morgen Land: Neuste deutsche Literatur.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
301 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3596147557

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