Jörg Uwe Sauer riecht den Verfall

"Das Traumpaar" - der neue Roman des Thomas-Bernhard-Parodisten

Von Andreas BrojaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Broja

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Geruch des Verfalls liegt wie ein Dunstschleier über dem Roman. Die DDR roch nach Kollaps, Berlin Alexanderplatz riecht immer noch danach, doch: "Nichts riecht mehr nach Kollaps als diese typische, unnachahmliche, leicht muffige, unverwechselbare Luft in jedem x-beliebigen Hörsaal einer x-beliebigen deutschen Universität." Man merkt es sofort, Sauer rechnet ab mit dem universitären Wissenschaftsbetrieb: "Die DDR als Lebenssackgasse für Millionen existiert nicht mehr, die deutsche Universität als Lebenssackgasse für Abermillionen existiert dagegen weiterhin; wie lange noch, weiß man nicht." Und dann gibt es da noch den alltäglichen Wahnsinn, auf den der Autor hinweisen möchte: Sauers Erzähler erkrankt psychisch an all dem zum Himmel Stinkenden und erholt sich in der berühmten Nervenheilanstalt Steinhof, in die schon Thomas Bernhard seine Romanfiguren geschickt hat. Dort verfasst der Erzähler seine Bekenntnisse, die für den behandelnden Arzt Dr. Hollhof den Flugschreiber dieses abgestürzten Nervensystems darstellen.

Sauers Debüt "Uniklinik" endet mit der Aussage: "Mein Aufenthalt in Triest, also meine Triester Zeit, war entsetzlich.". Sein neuer Roman "Das Traumpaar" knüpft daran an: "Das also ist Triest, eine weitere Metropole des Wahnsinns..." So lautet der erste Satz, der sich über drei Seiten hinzieht gemäß dem Motto: "Parataxe gleich verrückt, Hypotaxe gleich nicht verrückt". Triest ist nur eine der Metropolen des Wahnsinns, weitere Stationen sind Salzburg und Berlin.

Der geistige Verfall des Erzählers nimmt seinen Anfang in Salzburg. Hier scheitert er an der Aufnahmeprüfung für das Mozarteum, obwohl er sich für den geeignetsten Kandidaten hält. Da kann ihm auch die Beziehung seines Vaters zu Karajan nicht weiterhelfen. Doch der Erzähler durchschaut die Praktiken der Auswahlkommission. Vor Selbstüberschätzung strotzend sieht er sich nur als eine Nummer, als Statist in einem abgekarteten Spiel. "Gehns doch in die Germanistik, des is a nett!", wird ihm geraten, quasi als geistige Schwerpunktverlagerung. Vermessen geht es dann in Berlin weiter. An der FU ("Folteruni") eingeschrieben bewirbt er sich für eine ordentliche Professur - Musikpädagogik und Tonsatz. Seine Dreistigkeit und sprachliche Gewandtheit verhelfen ihm schließlich zur Professorenstelle, ohne dass er Referenzen und Zeugnisse vorweisen müsste. Sein Größenwahn steigert sich ins Unermessliche und findet Ausdruck in Hasstiraden gegen jeden und alles. Nicht nur die Unibediensteten, sondern auch die Gesellschaft und vor allem das deutsche Philistertum werden verbal regelrecht niedergewalzt: "Denke ich an Berlin, denke ich an Gurken. Die ganze Stadt ist vergurgt. Ebenso der ganze Berliner Wissenschafts- und also auch Universitätsbetrieb, welcher einen Gurkenbetrieb par excellence, einen Gurkenbetrieb in Reinkultur darstellt, wie auch der Lehrkörper der Berliner Universitäten eine reine Gurkentruppe in unappetitlicher Erscheinungsform abgibt." Erst nach zehn Jahren fliegt seine Doppelexistenz auf. Der Rektor der Universität wünscht ihn zur Hölle; er nimmt diesen beim Wort. Für ihn steht fest, er muss nach Triest, denn schon Dante glaubte den Eingang zum Purgatorium in der Nähe von Triest lokalisiert zu haben. Dort gibt er sich als Berliner Professor für Germanistik aus. Doch seine Tage sind auch hier gezählt.

Der Roman würde nicht "Das Traumpaar" heißen, wenn nicht von einer Beziehung die Rede wäre. In Berlin erfindet der Erzähler kurzerhand die Figur Mignon als seine Gefährtin. Ihre frappierende Ähnlichkeit mit der gleichnamigen Figur aus Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" fällt niemandem auf. Obwohl nie jemand Mignon zu Gesicht bekommt, avancieren sie und ihr "Professor" zum Traumpaar der Berliner Universität. In Triest trifft er auf Berenice, eine Frau aus Fleisch und Blut. Mit Berenice nimmt der Roman seine schlimmstmögliche Wendung.

Was Jörg Uwe Sauer hier gelang, ist ein Glanzstück deutschsprachiger Literatur. Der 1963 in Wanne-Eickel geborene Autor studierte Germanistik, Literaturwissenschaft, Geschichte und Kommunikationswissenschaft. Dass seine umfassenden Kenntnisse der Literaturwissenschaft in seine Arbeit mit einfließen, verwundert nicht. Aus dem gekonnten, ja spielerischen Umgang mit Literatur und ihrer gelungenen Modifikation entfaltet sich eine satirisch-komische Eigendynamik. Schließlich darf Literatur unterhalten - auch dann, wenn es sich um eine Umgestaltung eines bereits bekannten Textes handelt. Sein Literaturverständnis zeigt sich jedoch in einer erfrischenden Leichtigkeit ohne terminologisches Imponiergehabe. Der Aspekt der Intertextualität wird immer nur dann evident, wenn sich verbissene Bernhard-Liebhaber zu Wort melden und Sauer einen Palaverkünstler oder gar Plagiator schimpfen, statt sich am Déjà-vu zu erfreuen.

Möchte man nämlich das volle Ausmaß des Romans genießen, so sind Erfahrungen mit der Universität, ein Studium der Literaturwissenschaften von Vorteil, sonst übersieht man vielleicht die Anspielungen und somit die Freude am Parodierten. Der Autor selbst gesteht, er fahre ab und zu nach Essen, um in der Cafeteria der dortigen Universität ein Käsebrötchen zu essen und nach Anregungen für einen neuen Roman zu suchen.

Titelbild

Jörg Uwe Sauer: Das Traumpaar. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2001.
246 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3902144025

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