Psychoanalyse in Stichwörtern

Jens Heises Freud-ABC

Von Anastasia ShaliginaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anastasia Shaligina

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Freuds Auffassung zufolge sind die Selbstanalyse wie auch die Traumdeutung unendlich, was sich auch von der psychoanalytischen Theorie sagen lässt. Da sind vor allem für Anfänger Orientierungen sehr hilfreich, wie sie Jens Heise mit seinem "Freud-ABC" anbietet.

Jens Heise, geboren 1949, zur Zeit Privatdozent am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, hat sich schon in früheren Arbeiten mit der Psychoanalyse und insbesondere mit der Traumdeutung beschäftigt. Die Form des Lexikons ermöglicht es ihm, ein breites Spektrum an Informationen auszuleuchten. Auf den ersten Blick scheinen einige Einträge ausschließlich der Unterhaltung des Lesers zu dienen. Amüsant sind spöttische Äußerungen Freuds über seine Kontrahenten (unter dem Stichwort "Ausgesuchte Gehässigkeiten"), in denen spezifische Begriffe der Freudschen Theorie umgangssprachlich eingesetzt werden. Halb ernst, halb ironisch ist die Darstellung der psychoanalytischen Couch. Wer sich für menschliche Schwächen des Psychoanalytikers interessiert, wird über seinen immensen Zigarrenkonsum informiert. Aber der Autor vermeidet Ironie, wenn er die Bedeutung dieser Objekte für die Theorie und Praxis der Psychoanalyse erläutert. Dabei stützt er sich auf Freuds eigene Erklärungen. So bestehe die Funktion der Couch darin, den Patienten in seinen Bewegungen einzuschränken und ihn auf die Sprache als einzige Möglichkeit des Ausdrucks zu verweisen.

Ausführlich werden im Lexikon jene Krankheitsfälle geschildert, deren Untersuchungen es Freud ermöglicht haben, die Grundlagen seiner Theorie zu formulieren. Im Eintrag über Anna O. werden die verschiedenen Zugänge Freuds und Breuers zur Behandlung psychischer Krankheiten sichtbar. Während der Wiener Kollege zur Hypnose als Mittel der Heilung greift, verzichtet Freud auf dieses Verfahren und verlässt sich ausschließlich auf die Methode der intensiven Gesprächsführung mit dem Patienten. Anna O. hat einen prägnanten Ausdruck für diese Methode gefunden: talking cure, zu Deutsch "Redekur".

Einträge, in denen es um Freuds Beziehung zu seinen Kollegen geht, zeigen, dass seine Freundschaft mit ihnen nicht selten aufgrund von Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Theorie und Praxis der Psychoanalyse zerbrach. Als markantestes Beispiel dafür ist sein Verhältnis zu Carl Gustav Jung zu nennen. Zuerst wurde der Begriff der Libido zum Stein des Anstoßes, mit dem Jung nicht nur Sexualtriebe, sondern die ganze psychische Energie bezeichnet wissen wollte. Später folgte sein konsequenter Verzicht auf die wichtigsten Grundlagen der Theorie Freuds.

Der größte Teil der Einträge widmet sich der Darstellung der psychoanalytischen Terminologie. Dabei erläutert der Autor sowohl spezifische Begriffe aus dem analytischen Vokabular (Lustprinzip, Ödipuskomplex) als auch solche, die wie Kultur oder Vorstellung allgemein gebräuchlich sind, in der Freudschen Theorie aber neue Bedeutungen erhalten. Jens Heise gelingt es, verschiedene Phasen der Entwicklung von Freuds Theorie aufzuzeigen. In "Jenseits des Lustprinzips" schildert der Autor zum Beispiel ausführlich den Unterschied zwischen der zweiten und der ersten Triebkonzeption. Bei der Wiedergabe einiger umstrittener Positionen des Psychoanalytikers, wie der Definition der weiblichen Sexualität, führt er auch Auffassungen seiner Kontrahenten an.

Einfach, ohne sie jedoch zu simplifizieren, stellt der Autor komplexe Zusammenhänge dar. Das Lexikon ist klar und lebendig geschrieben und erfüllt seinen Zweck.

Titelbild

Jens Heise: Freud-ABC.
Reclam Verlag, Leipzig 2001.
240 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3379017345

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