Das Ende der Parabel

Barbara Fischer untersucht die deutsch-jüdische Rezeption von "Nathan der Weise"

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann und darf man die Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise" nach Auschwitz noch spielen? Oder verbietet sich die Aufführung des Toleranzplädoyers im Schatten des Holocaust? Frei nach Adornos Apodiktum, nach Auschwitz könne es keine Gedichte mehr geben, hält die amerikanische Germanistin Barbara Fischer George Taboris Bühneninterpretation "Nathans Ende" von 1991 für die passende Antwort auf diese Frage und auf Lessings "wohlgemeinte Toleranzparabel": Taboris "Post-Auschwitz, Post-Vereinigungs-Nathan" trägt die Figur des weisen Juden Nathan auf der Bühne zu Grabe und mit ihm die aufklärerische Humanitätsidee.

Ausgangspunkt der knappen Studie ist die Annahme Fischers, Lessings Drama habe auf jüdische Leser eine so mächtige "Überzeugungskraft" besessen, dass die auch im Angesicht der nationalsozialistischen Katastrophe nicht zu erschüttern gewesen sei. Ihr Zeuge ist einmal mehr George Tabori: "Als dessen Tante Piroschka 1932 vom geplanten Studium ihres jüdischen Neffen in Berlin erfuhr, ließ sie sich nur durch Lessings Aufklärungswerk "Nathan der Weise" beschwichtigen: ,Wenn dieses Stück nicht wäre, würde ich Dich nicht nach Deutschland gehen lassen, ich würde mich vor Deinen Zug schmeißen.'"

Nach 1945 probten viele Schauspielhäuser in Deutschland einen Neuanfang, so auch das Deutsche Theater Berlin, mit eben jenem in der Hitler-Zeit verbotenen Drama. Die erste Spielzeit nach dem Zweiten Weltkrieg sollte quasi die "Wiederbelebung" humanistischer Gesinnung nach den Jahren des Terrors signalisieren. Fischer aber erscheinen diese traditionellen Bühnenfassungen nach 1945 als Farce. Die von Lessing unterstützte "Judenemanzipation, die in der Hoffnung begonnen hatte, daß die deutschen Christen von den Juden ,künftig etwas gelinder und weniger allgemein urtheilen', endete in den Krematorien der Nazis." Auschwitz sei Schlusspunkt einer Entwicklung, die mit dem Glauben an die Vernunft des Menschen und der Hoffnung auf religiöse Toleranz begonnen habe. Viele bezahlten diese Utopie mit dem Leben. Wer nach dem Holocaust den Nathan auf die Bühne bringe, so die Germanistin, dürfe darum nicht das Stück allein aufführen, sondern müsse die Geschichte des dramatischen Gedichts mitinszenieren, die "so eng mit der jüdischen Emanzipationsgeschichte verbunden ist, daß es aus heutiger Sicht unvertretbar erscheint, nach den Jahren des Horrors leise zum Hohelied der Humanität zurückzukehren."

Barbara Fischers Arbeit argumentiert ex post, und das ist ihr Nachteil: Wie schon im Titel angedeutet, macht sie sich stark die Deutung George Taboris zu Eigen, dessen Abgesang auf Nathan Zielpunkt und Fazit ihrer Studie ist. "Trotz einer nicht zu leugnenden moralisch-ethischen Evolution der Menschheit folgten auf die Hoffnungen des 18. Jahrhunderts zahlreiche Rückschläge, Lessings Märchen von der Toleranz stieß und stößt noch immer größtenteils auf taube Ohren". Die teleologische Verquickung der Lessingschen Utopie mit der gescheiterten jüdischen Emanzipation und deren Ende in Auschwitz, den rechtsradikalen Überfällen von Solingen, Mölln und Hoyerswerda zu Beginn der neunziger Jahre sowie dem "zunehmenden islamischen Fundamentalismus" in der Welt, ist getragen von politischen, weniger von literaturwissenschaftlichen Überlegungen und Argumenten. Der Jude Nathan auf der Bühne, der Chiffre für Auschwitz ist und Lessings Ideen mit der realen Entwicklung jüdischer Emanzipation konfrontiert, ist eine erhellende Lesart dieses Stücks im Kontext der Geschichte, sicher aber nicht die alleingültige. Dem Anspruch Lessings und den enttäuschten Hoffnungen seiner jüdischen Rezipienten der vergangenen 150 Jahre wird diese Auslegung, wenn überhaupt, nur teilweise gerecht. Ebenso wie Taboris Bühnenversion "Nathans Ende", von Fischer in den Rang einer Universalinterpretation erhoben, der deutsch-jüdischen Rezeptionsgeschichte des "Nathan" - von Lessing bis heute.

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Barbara Fischer: Nathans Ende? Von Lessing bis Tabori: Zur deutsch-jüdischen Rezeption von "Nathan der Weise".
Wallstein Verlag, Göttingen 2000.
184 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3892442606

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