Theologie als Hoffnungsträger

Hille Hakers Versuch einer Ethik moralischer Identität

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit den Vorsokratikern wird die abendländische Kontroverse um Ethik, Moral und ihre Begründung ausgetragen. Auch Hille Haker wirft nun einen Versuch in die Waagschale. Sie entwickelt ihre Ethik der moralischen Identität in Auseinandersetzung, Abgrenzung und Fortführung "der wichtigsten gegenwärtig diskutierten Ethiktheorien". Gemeint sind Habermas' Diskursethik, Charles Taylers eigener Entwurf einer Moralischen Identität und Hans Krämers Integrative Ethik. Rawls Theorie der Gerechtigkeit etwa oder auch der feministische Diskurs der Moraltheorie zählen für die Autorin hingegen nicht dazu.

Hakers grundlegender Begriff der moralischen Identität meint eine "umfassende sittliche Ordnung, die sowohl die Ausrichtung auf das 'gute Leben' als auch den Respekt vor anderen Personen" einschließt. Sie sei nur zu gewinnen, wenn das "politische Handeln des Individuums [...] als Scharnier zwischen dem guten Leben und der Moral" fungiere. Sie entwickele sich analog zur "Lebensgeschichte als Entfaltung der personalen Identität", die wiederum auf Erzählung oder Narration gründe. Der Unterschied liege darin, daß sie darauf beruhe, daß das Individuum Verantwortung für seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft übernimmt.

Zwischen einer so verstandenen moralischen Identität und dem erzählerischen Moment von Lebensgeschichten in der Literatur bestehe eine besondere Affinität. Diese These versucht Haker im abschließenden Kapitel anhand der "Jahrestage" Uwe Johnsons beispielhaft zu belegen. Der Untersuchung der "Jahrestage" schickt sie eine kurze literaturtheoretische Erörterung voraus, in welcher sie sich auf Lukács, Benjamin und Adorno bezieht, dekonstruktivistische oder postmoderne Theorien und Interpretationsverfahren jedoch allenfalls beiläufig erwähnt.

Hakers "literaturethischer Kommentar" soll am Beispiel der Entwicklung Gesine Cresspahls, Johnsons Protagonistin, den "ethischen Gehalt der literarischen Lebensgeschichte mit Hilfe textimmanenter Interpretation" herausarbeiten. Cresspahls im Roman destruktive Erkenntnis und Anerkenntnis der Schuld der Nazis und der "eigenen Verstrickung" wäre mit Hilfe der "Kirche konstruktiv umzuwandeln gewesen."

Hakers letztes Wort gilt der "theologischen Ethik, die eine solche Lebensgeschichte im Hinblick auf die praktische und ethische Reflexion interpretiert" und wertet. Auf sie und die Theologie als Hoffnungsträgerin verweist die Autorin am Ende ihres Buches. Ist ihr doch die "Theologie die 'Stimme', die die 'Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit' (Benjamin) zum Ausdruck bringt."

Hille Haker: Moralische Identität. Literarische Lebensgeschichten als Medium ethischer Reflexion.

Titelbild

Hille Haker: Moralische Identität.
Francke Verlag, Tübingen 1999.
288 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3772027342

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch