Von Wölfen und Herren

Zu Sibylle Bergs neuem Erzählband "Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten"

Von Gustav MechlenburgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gustav Mechlenburg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Ratgeber und Psychotitel gibt es viele in den Regalen unserer Buchhandlungen. Allesamt auf der Suche, das Mysterium der verschiedenen Geschlechter zu erklären und eine Brücke des Verstehens zwischen ihnen zu errichten. Von Sibylle Berg konnte man schon einiges insbesondere über die männliche Hälfte der Schöpfung lesen. Die Hasstiraden ihrer Kolumnen sind zwar kaum angeraten, um Beziehungen wieder ins rechte Lot zu bringen. Doch steckt hinter den Klischees und Stereotypen immer auch eine ganze Menge Wahrheit.

Für manche Leser wohl allzu viel davon. Bergs Provokationsgestus wurde als pubertär-albern, geschmacklos oder arrogant empfunden. Und tatsächlich ist ihr selbstgefälliger Zynismus immer dann unerträglich, wenn er moralinsauer daherkommt. In ihren Romanen, "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot", "Sex II" und "Amerika", ging sie dann schon anders zur Sache. Die hier dargestellten Figuren sind nicht mehr nur Abziehbildchen elender Spießer oder naive Ausgeburten der Spaß-Generation, sondern in ihren Sehnsüchten und Wünschen nachvollziehbare Charaktere. Das Elend und Unglück, das sie erleben müssen, ist allerdings oft so dick aufgetragen, dass die "tageszeitung" Sibylle Berg gar als "Rosamunde Pilcher des Nihilismus" titulierte.

Vielleicht hat die Autorin ihr Format ja nun gefunden. Der Erzählband "Das Unerfreuliche zuerst" versammelt 18 Kurzgeschichten aus männlicher Ich-Erzähler-Perspektive. Keine eitlen Männerhass-Ressentiments, aber auch keine mühsam wirkenden Romankonstruktionen.

Vielmehr handelt es sich um erstaunlich einfühlsame Beschreibungen männlicher und weiblicher Sprachlosigkeit. Da ist die erste Erzählung mit dem programmatischen Titel "Ruhe". Ein Mann trifft im Regen ein Mädchen und ist auf den Schlag verliebt. Sie betrachten sich eine Weile. Und der Träumende wartet "auf einen Satz, ein Wort, ein Lachen. Etwas dass ich ihr sagen könnte, dass nun alles gut sei." Doch beide schweigen, und sie geht. Nach Jahren begegnen sie sich erneut, sie mit Kind. Und als er sie fragt, warum sie damals nichts gesagt hat, antwortet sie: "Mir ist doch kein guter Satz eingefallen."

Gefühllosigkeit ist ein anderes Thema, um das sich die Geschichten immer wieder drehen. In "Die Frau liegt auf dem Boden" beschreibt ein alternder Mann seinen Alltag nach der Pensionierung. Endlose Tage des Nebeneinanderherlebens: "Die Frau war immer da, wie etwas, was eben immer da ist. Das bringt nichts, über fremde Menschen zu denken. Dann, es war vor drei Wochen, fiel die Frau von sich aus auf den Teppich. Da wurde dann schon nachgefragt, was sie da täte, aber es erfolgte keine Antwort. Der Sessel musste zur Seite geschoben werden, wegen des Fernsehempfangs." Das ist nicht zynisch, sondern einfach nur traurig. Es ist auch nicht so, dass die Autorin damit ein Beispiel der frauenverachtenden Männerwelt zu geben beabsichtigt. Denn zuvor berichtet der Mann in der gleichen lakonischen Haltung von ihn tangierenden Erlebnissen. "Der Hund ist dann gestorben. Die Frau hat ihn liegen lassen. Da waren das erste Mal Tränen. Das war eine neue Erfahrung. Noch eine Erfahrung war das Krankenhaus. Das Bein war dann ab."

Lakonisch versteht es Sibylle Berg, uns diese Personen so zu vermitteln, dass ihre Ausweglosigkeit nicht wie feige Flucht oder männliche Attitüde wirkt, sondern in der Tat etwas Tragisches enthält. Als ein junger Mann berichten soll, wann er den einsamsten Moment seines Lebens erlebt hat, berichtet er vom Tod seines Kindes, das ihm seine Frau, bevor sie ihn verließ, in die Hände drückt. "Das Kind war tot. Nicht dass ich etwas in der Sache unternommen hätte. Ich hatte nur länger nicht mehr nach dem Kind gesehen, weil ich nicht wollte, dass ich es lieb gewänne. Das Kind hätte ein Weg sein können, aber das habe ich nicht erkannt. Dass es jemand hätte gewesen sein können, der mich mag. Und ich hatte nur gedacht, es hätte mich gestört dabei, das Glück zu suchen."

Es ist zu spät. Immer ist es zu spät für die Protagonisten Sibylle Bergs. Hoffnungen, Wünsche, Träume - schon im Vorfeld sind sie zum Scheitern verurteilt. Oft ist es schlicht die Angst, die diese Männer zu dem macht, was sie sind. Angst vor dem Tod oder dem Altwerden. Angst vor der Liebe, aus der Furcht, enttäuscht zu werden. Angst, etwas, was einem lieb geworden ist, zu verlieren. Eine Geschichte handelt von einem Jungen, vielleicht in Bosnien. Dessen Vater wird im Krieg getötet. Kurz darauf seine Mutter und Schwester vor seinen Augen erschossen. "Es war sehr kalt, weil die Tür jetzt fehlte. Und ich stand neben den beiden und sagte mir, was auch immer ich jetzt machen würde, eins sei mal klar: ich würde nie wieder ein Gefühl haben. Was nützen die Gefühle, wenn dann doch alle erschossen werden." Er verkriecht sich in das Haus und nimmt zu niemandem Kontakt auf, da "keine Gefühle zu haben sich schweigend am besten verwirklichen" lässt. Später zieht er selbst in den Krieg, nicht aus Rache, sondern um herauszufinden, "ob es noch so etwas wie Angst oder Hass oder Grauen in mir gäbe. Gut zu sehen, dass nicht."

Der Band enthält auch Erzählungen, zu denen der Untertitel "Herrengeschichten" noch weniger passt als zu den übrigen. Von Herren lässt sich wohl kaum reden angesichts triebgesteuerter Chauvinisten, männerbündlerischer Proleten oder den Wolf in sich suchenden Businesstypen. Aber selbst in diesen bis zur Widerlichkeit überspitzten Figuren scheint eine Verzweiflung durch, die sie mit Coolness zu überspielen versuchen. Und dabei bedürfte es oft nur eines Zufalls, einer unerwarteten Geste eines Gegenübers, um das Unglück abzuwenden - oder zumindest gegen ein anderes auszutauschen.

Eine sehr schöne Geschichte mit Namen "Zweimal" beschließt denn auch das Buch. In ihr werden zwei Alternativen beleuchtet. Im katastrophalen Urlaub mit seiner Freundin verlässt er die Enge des Hotelzimmers, um allein zu sein. Er spürt die vollkommene Entfremdung von ihr: "Ich habe keine Ahnung, wer diese Person ist. Die Hormone haben uns aneinander gekettet." Als er zurückkehrt, sieht er seine Frau in seinen Reisenotizen lesen. In der ersten Version kommt sie verständnisvoll auf ihn zu, denn sie hatte gar nicht geahnt, dass ihm der Urlaub so missfiel. Sie finden wieder zusammen, das Familienglück ist vorprogrammiert. In der zweiten Version ist die Frau empört und verlässt ihren Mann. Der bleibt zurück im Ausland. Er fühlt sich frei und erleichtert und beginnt ein neues Leben, das anfängliche Glücksgefühl weicht aber bald einem tiefen Zweifel, der nur selbstironisch zu meistern ist.

Zu spät? Ja, auch für die Menschen in Sibylle Bergs neuem Buch ist es zu spät. Und man fragt sich, was mit Blick auf den Buchtitel "Das Unerfreuliche zuerst" noch folgen soll. Das Erfreuliche zumindest ist, dass die Zeit mit dieser Lektüre nicht vergeudet ist. Wir verstehen danach mehr von den Herren der Schöpfung.

Titelbild

Sibylle Berg: Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
170 Seiten, 9,20 EUR.
ISBN-10: 346203037X

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