Väter und Söhne

Hanif Kureishi erzählt in seinem neuen Roman "Gabriels Gabe" von gescheiterten Vätern und Teenager-Träumen

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was passiert, wenn die Träume, die man in sehr jungen Jahren träumte, endgültig ausgeträumt sind? Wenn man das mittlere Alter erreicht hat und feststellen muss, dass man kein Popstar mehr werden wird? Und wie erklärt man das eigene verfehlte Leben seinem Sohn, der selbst künstlerische Ambitionen hat?

Diesen Fragen geht Hanif Kureishi in seinem neuen Roman "Gabriels Gabe" nach. Kureishi erzählt die Geschichte einer Familie, die im Begriff ist, endgültig zu zerbrechen, aus der Sicht des fünfzehnjährigen Gabriel. Er sieht hilflos zu, wie seine Mutter Christine seinen Vater Rex, einen ehemaligen Beinah-Popstar und nun arbeitslosen Musiker, vor die Tür setzt. Während Christine in der Reorganisation ihres Lebens aufgeht, sich einen neuen Job und einen neuen Freund sucht, betäubt sich Rex in einem heruntergekommenen Ein-Zimmer-Apartment mit Alkohol und Drogen und schwelgt in Erinnerungen an die Zeit, als er gemeinsam mit dem Rockstar Lester Jones auf der Bühne stand, stets der Überzeugung, ein großes Comeback unweigerlich vor sich zu haben.

In Ermangelung besserer Ideen und mit der Hilflosigkeit eines Jugendlichen, der sich zum ersten Mal mit der Schwäche des eigenen Vaters konfrontiert sieht, verbringt Gabriel seine Nachmittage damit, Rex zum Gitarrespielen zu verführen, unter dem Vorwand, er bräuchte die Musik seines Vaters, um sich auf seine Malerei und auf das Schreiben seines Drehbuchs konzentrieren zu können. An einem dieser Nachmittage kommt der seit Jahrzehnten von Rex erwartete Anruf von Lester Jones, einer David Bowie ähnelnden Figur. Bei einem anschließenden Treffen erkennt Lester in Gabriel einen Gleichgesinnten, einen Jungen mit Vision und Talent, und schenkt ihm eines seiner eigenen Bilder. Während seine Eltern hoffen, das Bild veräußern zu können, dient es Gabriel als Inspiration und Fluchtmöglichkeit aus der desolaten häuslichen Situation. Er beginnt, lange Gespräche mit seinem als Kleinkind verstorbenen Zwillingsbruder Archie zu führen, und gibt sich allerlei Visionen hin, immer getrieben von dem Wunsch, sie in einem Film umsetzen zu können.

Hanif Kureishi gelingt es, wesentlich mehr Inhalt in den Roman hineinzupacken, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Er erzählt von Gabriels Erwachsenwerden und von der Entwicklung seiner Talente ebenso wie von der gescheiterten Existenz seines Vaters, der es über Jahrzehnte hinweg nicht verarbeitet hat, kein weltberühmter Musiker geworden zu sein. "Gabriels Gabe" ist aber auch die Geschichte einer Familie, die - ähnlich wie die Familie von Elvis Presley - das Trauma des Todes eines Kindes kaum verwunden hat und die folglich in eine Sprachlosigkeit geriet. Kureishi webt ein leises, feines Porträt familiärer Beziehungen und zeigt die Ohnmacht eines Jungen, der sich verzweifelt bemüht, seinen Vater aus der Depression zu zerren und gleichzeitig den neuen Freund der Mutter aus dem Haus zu treiben.

"Gabriels Gabe" ist keine schwer zu verdauende Lektüre, erzählt der Autor doch mit gewohntem Witz und gekonnter Leichtigkeit von Eltern mit allzu menschlichen Problemen und von den großen Träumen eines Pubertierenden, aufgelockert durch Gabriels wiederkehrende, sehr surreale Visionen, die er auf Zelluloid zu bannen gedenkt. Auch kehrt Kureishi mit seiner Geschichte zurück zu dem, was er am besten kann: zur Dokumentation von Familiengeschichten und Londoner Leben. Seine Darstellung einer ganzen Generation von halbtalentierten Beinahe-Stars trifft ebenso ins Schwarze wie seine Beschreibung der gegenwärtigen Lebensbedingungen in London.

Nachdem er in der zuletzt erschienenen Anthologie "Dunkel wie der Tag" durch lieblos zusammengeflickte Charaktere und Plots enttäuschte, zeigt Kureishi hier endlich wieder eine Hinwendung zu starken Charakteren, nicht nur bei den Haupt-, sondern auch bei den Nebenfiguren, wie zum Beispiel dem angeheuerten Au-pair-Mädchen Hanna, das sich aus Angst vor Kündigung von Gabriel erpressen lässt, oder dem Barbesitzer Speedy, der seine Bar mit Lester Jones' Bild zur Attraktion machen will.

Auch lässt Kureishi einige Charaktere aus vorangegangenen Romanen auftreten: Charlie Hero und Karim Amir, die beiden Protagonisten aus "Der Buddha aus der Vorstadt", und Deedee Osgood, die Universitätsdozentin aus "The Black Album", tauchen mit einem Augenzwinkern am Rande wieder auf, was auf eine neue Selbstironie beim Autor schließen lässt.

Gabriels Geschichte fehlt es trotz aller Ernsthaftigkeit der Themen nicht an Komik: so endet Rex' Karriere als Lester Jones' Gitarrist in den siebziger Jahren, weil er auf der Bühne in seinen Plateau-Schuhen stolpert, sich das Bein bricht und somit aus der Tournee ausscheiden muss, die sein Durchbruch hätte sein sollen.

Hanif Kureishi knüpft mit "Gabriels Gabe" an sein frühes Werk an, besonders an "Der Buddha der Vorstadt", und das ist gut so, zeigte doch der Kureishi der späten neunziger Jahre einen fatalen Hang zu allzu viel Melancholie und Selbstmitleid angesichts der Midlife-Crisis, die er zum zentralen Thema seiner Anthologien machte. Kureishi hat zu seiner alten Form zurückgefunden, die dem Leser und Kinobesucher Perlen wie "Mein wunderbarer Waschsalon" und "Intimacy" brachte, und man darf hoffen, dass er sie für seine nächsten Romane beibehalten wird.

Titelbild

Hanif Kureishi: Gabriels Gabe. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans M. Herzog.
Kindler Verlag, München 2001.
296 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3463403358

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