Das Subjekt, das nicht eins ist

Elisabeth List preist die konservative Widerständigkeit des Leibes

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elisabeth List, Philosophin an der Universität Graz und ausgewiesene Feministin, hat mit "Grenzen der Verfügbarkeit" ein konservatives Buch vorgelegt, in dem sie dem Wunsch Ausdruck verleiht, "daß wir bleiben, was wir sind" - trotz und entgegen aller gentechnischer Unternehmungen, den Menschen zum "homo fabricatus" zu machen. Diesen Versuchen zur "'McDonaldisierung' des Körpers" stehe, so hofft sie, die "Renitenz und der Eigensinn" des Körpers, die "Ungefügigkeit" des "subversiven Leibs" selbst entgegen, auf dessen "Trägheit" und "Widerständigkeit" gegen den biotechnologischen "Selbsteingriff der Spezies" in die eigene "materielle Lebensbasis", auf die List letztlich "vertrau[t]". Mit dieser Hoffnung beschließt sie das Buch. Bevor sie zur Verteidigung der "Autonomie des Lebendigen als Grundlage menschlichen Daseins" gelangt, begeht die Autorin einen weiten Weg, um den "Ort des Lebendigen" im "Spannungsfeld" zwischen "wissenschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion durch Technik" einerseits und verschiedenen "Politiken des Subjekts" zu durchschreiten. Hierbei nimmt sie einige Umwege in Kauf - und gerät auf den ein oder andern Abweg.

Zunächst unternimmt die Autorin einen "Streifzug durch die theoretischen Positionen der Biowissenschaft" des gerade verstrichenen Jahrhunderts, dessen Schwerpunkt auf autopoietischen Theorien des Lebendigen liegt. Hieran schließt sich eine Erörterung der philosophischen Grundlagen des heutigen Verständnisses vom "Organismus als Subjekt" an, dessen philosophischen Bezugspunkt sie bei Immanuel Kant ausmacht. Dessen Prinzip der transzendentalen Apperzeption, das bekannte "ich denke", das "alle meine Vorstellungen begleiten können" muss, reformuliert List dahingehend, dass ebenso das "ich lebe" zur "Möglichkeitsbedingung aller Erkenntnis" gehöre. Mit der Wandlung des "ich denke" zum "ich lebe" ist der Wendung vom Idealismus zu einem in moderner Terminologie gekleideten Materialismus der Weg gebahnt, der das unhintergehbare Primat des Leiblichen betont und sich gegen die "dekonstruktivistische Eskamotierung" des Subjekts richtet. Was bestimmten poststrukturalistischen Lesarten vor allem fehle, beklagt die Autorin in Bezugnahme auf ein Theorem Lacans, sei ein Verständnis des Lebendigen als "Vermittler zwischen dem Realen, dem Imaginären und dem Symbolischen". Der "phantasmatische Charakter der Idee eines reinen Vernunftsubjekts" sei zwar heute sowohl von Poststrukturalisten als auch Feministinnen "unbestritten". Dennoch sei die Rede vom Tod des Subjekts inzwischen zur Floskel verkommen.

An diese sicher berechtigte Feststellung schließt List die rhetorische Frage an, ob hieraus etwa der Schluss zu ziehen sei, dass dort, wo ehemals das Vernunftsubjekt vermutet wurde, "schlicht und einfach nichts" sei. Nein, natürlich nicht! Vielmehr bilde das Körperselbst die "elementare Basis unseres Existierens", die weder durch die "Macht der Anderen" noch durch den Diskurs erzeugt oder vollkommen von ihnen kontrolliert werden könne. Daher werde allererst durch das Körperselbst als "Agens der Symbolisierung" und als Ausgangspunkt einer Entfaltung von Sprachlichkeit die "diskursiv artikulierte Subjektivität" ermöglicht. Eine Theorie des Subjekts lasse sich also nicht auf die Analyse des Symbolischen verkürzen, wie es List zufolge von "radikal dekonstruktivistische[n] Optionen" nahegelegt wird. Ungeachtet dieses Dissenses führt die "phänomenologische Insistenz auf Situiertheit, Prozessualität und Kontingenz", wie List zu Recht konzidiert, erkenntnistheoretisch zu "vergleichbaren Ergebnissen" wie die poststrukturalistischen Einwände gegen rationalistische Subjekttheorien. Das Subjekt sei darum nicht eins, schließt sie den Gedanken unter Anspielung an die bekannte Wendung Irigarays, weil es in Bedingungen gründe, die jenseits seiner Kontrolle liegen. Diese "Tatsache des 'Nicht-Eins-Seins'" müsse als die unhintergehbare Bedingung der Existenz akzeptiert werden.

Lists materialistisch anmutende Argumentation kippt nicht nur unversehens in eine fragliche Glorifizierung von Natur, wenn sie das "eigene Lebendigsein" als "die unmittelbarste Weise, Natur zu erfahren" preist. Darüber hinaus bewegt sich die Autorin in bedenklicher Nähe zum Religiös-Schwärmerischen, wenn sie ihrer Feststellung, Natur sei, "was uns leben lässt, was uns leben macht", eine "spirituell-religiöse Dimension" zuspricht. Auch an anderer Stelle klingen religiöse Töne unangenehm hervor, so etwa wenn sie angesichts der "Unwägbarkeiten und Kontingenzen leibhaftig-lebendiger Existenz" "Hingabe und Demut" fordert.

Weniger überraschend als Lists mit religiösem Impetus verquickter Materialismus ist, dass die feministische Philosophin auf ihrem Kursus auch die Geschlechterfrage streift. Das Primat des Leiblichen und ihre Feier der Natur führt sie zu der Behauptung, "daß Frauen zu ihrem Körper und ihrem Leiblich-Existieren ein ganz besonderes Verhältnis haben". Das ist nicht darum eine bedenkliche These, weil sie unterschiedliche Körperwahrnehmung der Geschlechter unterstellt, sondern wertend den Frauen eine "ganz besondere" zuspricht. Diese in gewisser Weise elitäre Annahme lässt sie an der von Feministinnen inzwischen weithin abgelegten Vermutung eines weiblichen "Erkenntnisprivileg[s]" festhalten.

Lists Buch hinterlässt einen ausgesprochen ambivalenten Eindruck. Geht man einerseits gerne mit ihrem Ziel konform - der Verteidigung des Leiblichen gegen den biotechnologischen Ein- und Angriff -, so mag man sie doch nicht auf all ihren Um- und Abwegen dorthin begleiten.

Titelbild

Elisabeth List: Grenzen der Verfügbarkeit. Die Technik, das Subjekt und das Lebendige.
Passagen Verlag, Wien 2001.
280 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3851654676

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