Männliche Melancholie und weibliche Weltwut

Marlene Streeruwitz verrät ihre Ansichten über die Kunst und die Welt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinz-Norbert Jocks hat sich mit Marlene Streeruwitz unterhalten. Ein Gespräch, wie der Titel des vorliegenden Buches verspricht, ist dabei allerdings nicht zustande gekommen. Vielmehr handelt es sich um ein Frage-Antwort-Spiel, das von Seiten Jocks' über weite Strecken durch die stereotype Monotonie seiner Fragen gekennzeichnet ist ("Was finden Sie an der Kunst von Olaf Mentzel so interessant?", "Was an Concept-art war Ihnen so wichtig?", "Was an der Land-art begeistert Sie?"), und von Seiten Streeruwitz' durch kluge, manchmal irritierende und gelegentlich auch Stirnrunzeln hervorrufende Antworten. So legte sich etwa die Stirn des Rezensenten in Falten, als er las, dass "Drauflosfahren, sich nichts denken und nehmen, was man will" eine der "Rahmenbedingungen richtigen Handelns" sei. Andererseits machen Streeruwitz' Antworten immer wieder ihre immense Belesenheit und kulturgeschichtliche Bildung deutlich. Mit der Kunstgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg muss man etwa schon sehr vertraut sein, will man den Ausführungen der ehemaligen Kunststudentin einigermaßen folgen.

Die Palette der angesprochenen Themen und Personen ist jedoch weitaus umfassender, und so erfährt man Streeruwitz' Ansichten über viele und vielerlei, über Handkes "sadistische Texte" und über Duras' "kitschiges Gift"; man weiß nun, dass sie Karl Kraus hasst und von der Fin-de-Siècle-Schwärmerei "ganz entsetzt" ist, dass sie Mary Shelleys "Frankenstein" für einen "chauvinistischen Text" hält, Pop-Art hingegen für "absolut erlösend" - und man ist nicht überrascht, dass die inzwischen zur Trägerin des Hermann-Hesse-Literaturpreises gekürte Österreicherin für den Namenspatron des Preises und dessen "Kitschliteratur" rein gar nichts übrig hat: "Hesse, no!"

Jocks, der die Themen vorgibt, springt jedoch allzu unvermittelt und schnell von einem Punkt zum nächsten. Er gestattet Streeruwitz etwa nur kurz zu erklären, warum Sprache "immer kriegerisch" ist oder worin die Aufgabe von Kunst besteht und wie deren Verhältnis zum Leben aussieht. Schon wendet er sich dem nächsten Gegenstand zu. So wird neben den bereits genannten Themen zwar noch Tausenderlei angesprochen - u. a. William Burroughs, Paul Bowels, Charles Dickens, Egon Schiele, Canetti, Wittgenstein, Krapotkin und die Anarchie, Utopie, Humor, Mythologie und die Frankfurter Schule -, jedoch wird kaum etwas von alledem wirklich erörtert. Nur ganz ausnahmsweise mal erlaubt der Interviewer Streeruwitz etwas komplexere Darlegungen, wie etwa zu Fragen des Existenzialismus und der Rolle, die Simone de Beauvoir in ihm spielte.

Zu den eher überraschenden Auffassungen von Streeruwitz zählt, dass sie "jede[m] Kritiker und jede[r] Kritikerin" eine Psychoanalyse empfiehlt, damit sie "genügend Abstand zu sich selbst" gewinnen; obwohl sie gleichzeitig - für sich genommen nicht sonderlich überraschend - das Freud'sche Denken für eine "patriarchale Theorie" hält, die den Versuch unternehme, "das patriarchale System zu heilen".

Wenig überraschend ist auch, dass Patriarchat und Geschlechterdifferenz angesprochen werden. Dass Streeruwitz Melancholie als "die männliche Grundlebensform" schlechthin bezeichnet und der "Angstverdrängung" des Mannes die "Angstvergegenwärtigung" der Frau gegenüberstellt, durfte man erwarten. Vielleicht auch, dass sie der wenig überzeugenden Auffassung ist, im Patriarchat bestehe für Frauen die einzig mögliche "Gegenwehr" im "sehr fröhliche[n] Herausschlängeln", und darin, "sich über das Ganze herzlich auszukichern". Irritierender ist die Ursache, die Streeruwitz für zwischengeschlechtliche Beziehungsprobleme ausmacht. Schuld seien die "zwei völlig verschiedene[n] Zeitsysteme der Geschlechter", für die sie eine fragliche biologische Begründung parat hat. Streeruwitz führt sie nämlich zum einen darauf zurück, dass sich Frauen "durch ihre Körperlichkeit" in einem "anderen Zeitfluss" als Männer befänden, und zum anderen auf die "Kinderaufzucht", die von der Wiener Erzählerin und Dramatikerin wohl implizit als notwendig weibliche Angelegenheit gedacht wird. Die "eigentliche Frage" ist Streeruwitz zufolge allerdings, weshalb die Frau "für ihr Verharren-Müssen in der Dauer aus biologischen Gründen oder aus Gründen der Kindererziehung benachteiligt" wird. Der naheliegende Biologismusverdacht wird jedoch durch ihre Hoffnung relativiert, dass "die Frage von Dauer und Nichtdauer eines Tages nicht mehr geschlechtsspezifisch beantwortet" werde. Dessen ungeachtet bleiben die obgleich moderaten, so doch unüberhörbaren Töne des Hohen Liedes auf die Mutterschaft irritierend. Dass die aber unter den patriarchalen Bedingungen so toll nun doch nicht ist, das weiß auch Mutter Streeruwitz.

Nach einem Motiv ihres Schreibens gefragt, das unverändert geblieben sei, antwortet die Autorin, ihre "Weltwut" sei die gleiche geblieben. Man wünscht ihr und den Lesenden, dass es ihr gelingen möge, sie sich zu erhalten. Und das nicht nur, weil man dann umso gespannter auf den angekündigten Science-Fiction-Roman "Dauerkleingartenverein Frohsinn" warten darf.

Titelbild

Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Heinz Norbert Jocks.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
79 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3770150937

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