Ein kleines bisschen Wirklichkeit

Michael Saurs Schriftstellerportraits wecken und enttäuschen Erwartungen

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Portraits werden geschrieben, weil sich Leser für Autoren von Büchern, die sie mögen, interessieren. Weil man nach der intimen Begegnung mit einem Text auch den Wunsch verspürt, seine Phantasie bei ein bißchen Wirklichkeit zu entspannen." Der Autor dieser Zeilen, der Journalist Michael Saur, ist jemand, der solche Schriftstellerportraits anfertigt. Einen Fundus von Portraits amerikanischer Schriftsteller aus den vergangenen fünf Jahren legt Saur mit seinem Band "Hintergrundrauschen" vor, um seinen Lesern mit etwas Wirklichkeit einen Ausgleich zur anstrengenden Fiktionslektüre zu ermöglichen. Doch welche Wirklichkeit ist es, die Saur in seinen Portraits konstruiert?

Der Blick ins Inhaltsverzeichnis verspricht einiges: mit Paul Auster, Frank McCourt, Louis Begley, Martin Amis und T. C. Boyle, um nur die prominentesten der Portraitierten zu nennen, entspricht Michael Saurs Auswahl sicherlich in personellen Belangen dem Erwartungshorizont seiner Leser. Doch dabei belässt es der Autor dann leider auch. Denn was die Portraits hinsichtlich ihres erhellenden Wirklichkeitsgehalts zu bieten haben, lässt einen doch wieder schnell in die anstrengenden Gefilde der Phantasie flüchten. Saurs Portraits bieten nämlich tatsächlich nur wenig hintergründig Rauschendes, dagegen recht viel vordergründig Menschelndes: Paul Austers ebenfalls schreibende Gattin Siri Hustvedt ist trotz ihres Alters noch hübsch anzusehen, Richard Ford schwingt sich in seiner Freizeit gerne auf seine Harley und T. C. Boyle ist ein ziegenbärtiger Zappelphilipp, der beim Interview mit Saur fast vom Schaukelstuhl gekippt wäre.

Saur beherrscht eine Klappentextrhetorik, die Intimität und Vertrautheit suggeriert, und nähert sich seinen Objekten mit verunglückten Mimesisversuchen: "Der Zirkus ist in der Stadt. Bunt und laut, lustig und manchmal traurig wie frierende Liliputaner mit angepappten Nasen ziehen die Schausteller durch die eiskalten Straßen." So liest sich beispielsweise der Einstieg in ein Paul-Auster-Portrait, dessen abgegriffen-schiefe Zirkusikonographie zu den aufdringlichen Versuchen des Journalisten zählt, mit literarischen Mitteln eine Stimmung zu schaffen, die der Erzählwelt der Schriftsteller angemessen wäre. Das ist nicht selten einfach nur peinlich.

Durchaus kontrovers hingegen gerät die Begegnung mit Richard Ford, der als Reaktion auf Saurs Autorenauswahl wissen möchte, "warum das Buch so wenige schwarze Schriftsteller enthalte und kaum Frauen". Diese Frage mag absurd erscheinen, als typisch amerikanischer Intellektuellenreflex der Güteklasse "politisch korrekt" - im Ansatz ist sie durchaus legitim, lenkt sie doch das Augenmerk auf die Auswahlkriterien. Saur fühlt sich denn auch von Ford ertappt und räumt entschuldigend ein, er habe einfach das gewählt, was ihm gefalle. Das ist legitim, schließlich trägt sein Buch den wertfreien Untertitel "Zu Besuch bei amerikanischen Schriftstellern" und erhebt damit keinerlei Anspruch auf Repräsentativität.

Nach einem zweistündigen Gespräch mit Frank McCourt, wird Michael Saur mit den prophetisch zweifelnden Sätzen verabschiedet: "Beneiden tu' ich Sie jetzt nicht. Sie müssen über mich schreiben und kennen mich kaum." In Anlehnung an McCourts weise Worte muss das Fazit nach absolvierter "Hintergrundlektüre" daher lauten: Jetzt haben Sie etwas über amerikanische Schriftsteller gelesen und kennen sie noch immer nicht.

Titelbild

Michael Saur: Hintergrundrauschen. Zu Besuch bei amerikanischen Schriftstellern.
Picus Verlag, Wien 2001.
140 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3854524501

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