Im Dienste des Debüts

Thomas Kling entdeckt Sabine Scho

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor fünf Jahren wurde Thomas Kling von Michael Krüger, dem Herausgeber der Zeitschrift "Akzente", gebeten, doch einmal in einem Heft seine "Kumpane" vorzustellen. Der Dichter tat dies mit Freuden und bot eine Auswahl von Texten an, die sich immer noch sehen lassen kann. Vor allem beachtlich schien sein zielsicherer Instinkt, mit dem er auf damals noch nicht im Rampenlicht stehende und dennoch innovative Werke aufmerksam machte. Freilich, die Präsenz im Literaturbetrieb variierte von Autor zu Autor auch 1996, doch wurden einige erst in den letzten Jahren einer breiteren Öffentlichkeit - sofern man dies hinsichtlich des Lyrikpublikums überhaupt sagen kann - bekannt, andere sicherlich verkannt. Immerhin findet sich unter den Kumpanen ein Großteil der "jüngeren" Generation von Dichtern, die seit den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts für Aufsehen sorgt: Peter Waterhouse, Yoko Tawada, Marcel Beyer, Ferdinand Schmatz und Franz Josef Czernin seien nur stellvertretend genannt. Die beiden Letztgenannten inszenierten im Übrigen 1987 den amüsanten und für den Literaturbetrieb aufschlussreichen "Residenz-Literaturskandal".

Auf das Gespür Klings und nicht zuletzt auf dessen Bedeutung innerhalb der Lyrikszene verließ sich auch der Literaturwissenschaftler Axel Marquardt, Herausgeber einer Reihe im Europa Verlag, die bekannten Autoren die Gelegenheit gibt, eine Auswahl aus dem Werk eines geschätzten Kollegen zu edieren. Anders jedoch als etwa Robert Gernhardt, der Heinrich Heine für sich entdeckt, oder Günter Kunert, der Nikolaus Lenau wiederbelebt, widmet sich Kling einem bemerkenswerten Erstlingswerk. Er stellt seinen Ruhm somit ganz in den Dienst des Debüts von Sabine Scho. Im Vorwort, das bereits in seiner Essaysammlung "Botenstoffe" zu lesen war, bemerkt er, dass Schos "Album" neben Marcel Beyers Gedichtband "Falsches Futter" zu den "wichtigsten, nicht zuletzt durch die offene Geschlossenheit überzeugenden deutschen Gedichtbüchern der letzten Jahre" gehört.

Sabine Scho, 1970 im nordrhein-westfälischen Ochtrup geboren, führt in der Tat einen eigenen Duktus in "Album" ein, der ihr in diesem Jahr wohl auch den Leonce-und-Lena-Preis einbrachte. Ihre Gedichte leben von der Distanz, der sorgfältigen Sprachspiele und der leitmotivischen Thematik des Mediums Fotografie, das der vieldeutige Titel ja andeutet. Nicht allein das Familienalbum wird assoziiert, hinter dessen Konzeption sich eine ganz eigene Art der Erzählung verbirgt, auch das Genre ,Künstleralbum', etwa eines Ilya Kabakov, kann mitgedacht werden. Wie selbstverständlich wird die von Kling selbst dargelegte Etymologie, die Herleitung vom lateinischen "albus", "weiß": "weißes (Foto-)Papier" wird hier "mit Schrift besetzt". So stehen sich in "Album" oft Gedicht und Bild gegenüber. Die Fotografien werden teils nur in Ausschnitten oder Vergrößerungen präsentiert, die den Bildhintergrund offenbaren, während der Text kommentiert, weiterspinnt, quasi Negative entwickelt und eigene, rein sprachliche Wege einschlägt. Dabei geht es um die Momentaufnahme, die im historischen Kontext betrachtet wird, meist in dem der jüngeren deutschen Geschichte. Relikte der Vergangenheit kehren im Jargon, im Zitat, im banalen Detail oder grobkörniger Auflösung wieder. Der Zitatenschatz, zu dem angenehmerweise nicht die typischen Prunkzitate eines poeta doctus gehören, reicht von Ernst Jünger über die TV-Serie "Rauchende Colts", Stanley Kubrick, Orson Welles, bis zu Walter Benjamin, Allen Ginsberg, Jack Kerouac und noch viel, viel weiter. Trotzdem ist die Lektüre anstrengend, was aber eher auf den hohen Grad an Sprachbewusstheit zurückgeführt werden kann als auf prätentiöse Irreführung oder metaphorische Verdunklung. Auf den ersten Blick sind die Gedichte Schos kaum zugänglich, aber sie locken mit einigen herausragenden Versen. Das gelegentliche Nachschlagen im Wörterbuch erschließt rasch die Fachtermini der Fotografie bzw. der Optik. Dadurch ergeben sich zuweilen neue Mehrdeutigkeiten, neue Bildfelder und andere Perspektiven, "mit anderen Worten - mit anderen Augen", wie es in "Gruppenbild" beispielsweise heißt. Gleichzeitig garantiert die Fachsprache die Ferne zum Kitsch und zur geläufigen Floskel. So hat Thomas Kling nicht Unrecht, wenn er das einleitende "sachliche Schilderer" programmatisch liest. Ein Zyklus schließt sich an, der "(seidenmatt, nacht- / eilig bebildert) / ausnahmslos stockig, doch / sachlich geschildert" bleibt. Wer Klings Empfehlung und seiner Assoziation zum Begriff der "Schilderer" - eine Tradition norddeutsch-niederländischer Malerei, eine Tradition des "Sittenbildes" - folgt, wird in Sabine Schos Texten noch die ein oder andere Entdeckung machen, die überraschend und poetisch zugleich sein wird.

Titelbild

Sabine Scho: Thomas Kling entdeckt Sabine Scho.
Herausgegeben von Axel Marquardt.
Europa Verlag, Hamburg 2001.
64 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3203843048

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