Bibel-Experimente

"das grosse babel,n" von Ferdinand Schmatz

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ferdinand Schmatz schreibt ,schwere Literatur' - die, wie alle experimentellen Arbeiten aus der Wiener Szene ,schwer' zu lesen ist und es darum ,schwer' hat auf dem Markt; was nicht heißt, sie sei schwer verdauliche "speise" - im Gegenteil: Schmatz hat es sich zur Aufgabe gemacht, allzu leichtfertiges Sprechen auf den leichten Füßen der Poesie zu durchkreuzen; ein Unterfangen, das auch gewürdigt wird: "das grosse babel,n" erhielt 2000 den Christine-Lavant-Preis.

In diesem epischen Langgedicht liest Schmatz aus der Bibel alle möglichen "babel,n" heraus und demonstriert, was er unter "mündig" Sprechen versteht: Schmatz' Poetik des "mund" - grundgelegt in "speise gedichte" (1992) - fordert größte Verantwortung vom Geber wie vom Nehmer einer Sprache. Der verwende nur, was er ganz begriffen hat - i. e. was dem "gericht" im "mund" standhielt -, "gebrannt[es]" Material für die Rede oder Backsteine zur Errichtung eines "turm".

Aus dem Bibelkanon hat Schmatz Teile der Genesis, der Psalmen und die Offenbarung ausgewählt, die er nach- bzw. umdichtet, wobei vorliegendes Sprechgebilde ("es") entstand. Wo die Bibel das Verhältnis des Herrn zum Gottesvolk behandelt, liest "babel,n", was zwischen entstehendem "es" und Leser - auch der Dichter ist sein Leser - geschieht.

Das Einlesen von "es" in die Bibel führt "es", unabhängig, wieder heraus. Seine transitale Existenz heißt bei Schmatz "mund" oder "tor", und sie ist nicht leicht greifbar oder konsumierbar, sondern will ihrerseits "begriffen" vollzogen sein. Schmatz' Erfahrung erfährt der Leser mit, muss "es" lesend (er)finden. Bei diesem "unterscheiden" agiert die Stimme des Autors mit der jedes anderen Lesers gleichberechtigt. Nie würde Schmatz "ansagen", wie das der Verkünder der Offenbarung tut, seinen drohend-verheißenden "schwall" über die Zuhörer gießend, ohne sie zu "er-hören". Eine derart entmündigende Redehaltung korrigiert Schmatz bei den Texten über die Patriarchen: In seiner Bearbeitung erhalten die übergangenen Personen in Monologen Stimmen.

Schmatz zeigt, dass zum Fortkommen von "es" nicht nur "er" (der überlegen herrschende Sinn) maßgeblich ist, sondern "sie" (die "unterlegene" sinnliche Komponente des Sprechens). Wenn nun die in der Genesis mehrmals verschacherte Sara in "babel,n" sagt: "ich bin in gedanken zwar euer, aber längst schon voraus / versetzt, um nicht genommen zu werden", beschreibt Schmatz - im Siegeszug der Einwanderer beim Pharao - den Voran-Zug sinnlicher Sprach-Komponenten, die jeweils ein Bett für den Durchfluss des gemeinten Sinns geben; der sich, "sara" den Mund verbietend - im Abraham'schen Erzvater-Verständnis - für den Beherrscher der Sprache hält, der er sich zu bedienen meint.

Es ist alles andere als leicht, Schmatz darin zu folgen, wie er genau genommenes Sprechen (Lesen) als quasi Unabhängigkeitsorgan demonstriert: Denn nichts läge dem Autor ferner, als einen Sinn (einen Gedanken, eine Meinung, eine Bedeutung) mittels "verkleidung"-Gedicht zu präsentieren.

Vielmehr legt er die Schaltstellen offen, die Sprache dem Denken offeriert und die sich z. B. in mehrdeutigen Wörtern - Schmatz, der alles klein schreibt, zieht bevorzugt Synonyme heran - bieten. Schmatz liest und "dichtet" jeweils alle Varianten weiter, samt den "nachfahren" solcher "seme" - wie in "babel,n" die Semiten heißen -, die in allen grammatikalischen und wortbildnerischen Konsequenzen angenommen werden müssen.

Für Schmatz ist und fordert Sprache Aktivität, das Gedicht dessen demonstrativen Vollzug. Wie andere experimentelle Dichter, z. B. Franz Josef Czernin, führt der Autor diese Funktion mittels Verben vor. Die Vielzahl von Indefinitformen (Infinitiven, Gerundien, Partizipien) macht das Sinn-Potenzial vielfältig und entscheidet sich - bei intaktem Syntagma - an den Schaltstellen. Dabei kommen Schmatz' Texte mit einem minimalen Repertoire sinnfächernder Bausteine aus - wogegen er sein Sinnlichkeits-Material aus dem unerschöpflichen Reservoir gebräuchlicher Redensarten u. a. Geläufigkeiten bezieht, um uns als Sprach-Teilern vor Augen zu halten, dass erst "begriffen" Sinn macht, was davor ,Unsinn' war. Freilich kommt aus diesem chaotischen Element unmittelbaren Sprechens der Impetus jeder Rede. Wer es sich bequem macht und Sprache nimmt, wie sie verabreicht wurde, liefert sich der Gewalt eines fremden Sprechers aus - wie Schmatz in "SPRACHE MACHT GEWALT" (1994) zeigte und es in der Psalmen-Bearbeitung von "babel,n" volatil lyrisch ausführt. "schau nach und prüfe im fluge" fordert er Dichter - wie alle Sprecher bzw. Leser im Zeitalter der Zerstreuung (und Manipulation) auf, die Konzentration einer "gnade" der Entscheidungsfreiheit wahrzunehmen, die Sprache bietet, "wenn man sie spürt".

Titelbild

Ferdinand Schmatz: Das grosse babel,n.
Haymon Verlag, Innsbruck 1999.
158 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3852183065

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch