Schillernder Pop-Status

Marvin Chlada und seine Freunde über das Universum des Gilles Deleuze

Von Marc RölliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Rölli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man könnte beinahe glauben, eine billige und irgendwie zu dick geratene Hochglanzbroschüre über einen Popstar der Subkultur in den Händen zu halten. Ein Porträt des Philosophen Gilles Deleuze ziert das neue Buch von Marvin Chlada und seinen Freunden. In der Pose des Denkers sinniert Deleuze im Hintergrund des gestirnten Nachthimmels wie ein unheilvolles Tierzeichen. Gemäß der Prognose von Michel Foucault scheint diese Aufmachung besagen zu wollen, dass das (letzte) Jahrhundert bereits deleuzianischer ist als allgemein angenommen wird. Deleuze als philosophisches Markenzeichen der Gegenwart - (ähnlich wie Hegel wenigstens der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Stempel aufgedrückt hat)?

Das Inhaltsverzeichnis des Buches präsentiert ein gutes Dutzend bunter Essays über Deleuze und den rosaroten Panther, Deleuze und die ,Müller-Maschine', und die Pop-Intellektuellen, und der Mord am Subjekt, und "Alice im Wunderland", und Dionysos, Literaturtheorie, Masochismus, Vampire. Kreuz und quer greifen die Artikel der allesamt jungen Autoren besonders geläufige Themen seines Denkens heraus, um sie im Stil eines möglichst unterhaltsamen Feuilletonismus einer bereitwilligen Leserschaft zu präsentieren. Dabei erheben sie nirgends einen akademischen Anspruch. Es wäre auch fatal, sie daran zu messen. Vielmehr überfliegen sie den wissenschaftlichen Ernst in der Absicht, zu jenem "Unernst" zurückzufinden, welcher stets das pulsierende Leben zu begleiten scheint. Bereits Norbert Bolz hat 1981 gefordert, dass man den "Anti-Ödipus" von Deleuze und Guattari so lesen muss, "wie man ins Kino geht oder eine Platte hört". Bleibt also nur die Frage, ob es sich bei dem hier zu besprechenden Buch um langweilige Selbstinszenierung oder wirklich gute Texte handelt, die mitreißend sind.

Tatsächlich gelingt den Autoren die angestrebte "Überbietung" des akademischen Stils nicht, weshalb das Buch auch die von ihnen gehegte Hoffnung in weiten Strecken enttäuscht, nämlich Vergnügen zu bereiten. Zu den Ausnahmen zählt der kleine Aufsatz von Martin Büsser über die Pop-Rezeption von Deleuze, dann auch Marvin Chladas Texte über Deleuzes Verhältnis zu Carroll und Sacher-Masoch. Im zentralen Einführungsessay in das Deleuze'sche Denken, den der Herausgeber selbst geschrieben hat, manifestiert sich diese Enttäuschung im Jargoncharakter der verwendeten Sprache. Während nämlich auf der einen Seite ein direkter Zugang zu Deleuze und seinen Büchern gesucht wird, werden auf der anderen Seite seine philosophischen Begriffe ohne Erläuterung wie Spielsteine gesetzt, die sich - so wird suggeriert - ganz von selbst verstehen. Im Unterschied zu Deleuze, der seine Begriffe immer präzise erläutert, spekulieren seine Epigonen auf ihre feststehende Wahrheit. Für diese Haltung hatte Nietzsche ein paar sehr unangenehme Wortschöpfungen auf Lager (Sklavenmoral etc.). Deleuze seinerseits distanziert sich u. a. deutlich vom Jargon des "Außenseitertums" (auch mancher seiner eigenen Leser), beispielsweise 1977 im Kontext der Auseinandersetzung mit Foucaults erstem Band von "Sexualität und Wahrheit": "Ich teile Michels Horror vor denen, die sich Außenseiter nennen: die Romantik des Wahnsinns, der Delinquenz, der Perversion, der Drogen ist mir zunehmend unerträglich."

In einem Brief an Michel Cressole, der kurze Zeit nach dem Erscheinen des "Anti-Ödipus" 1972 in Paris die Philosophie von Deleuze zum Gegenstand einer ausführlichen Kritik gemacht hat, bekennt Deleuze, der "Anti-Ödipus" sei "nicht die erträumte Pop-Philosophie oder Pop-Analyse" gewesen, sondern "noch recht akademisch, recht vernünftig." Wenn also nach der Selbsteinschätzung von Deleuze sogar der "Anti-Ödipus", der mit Sicherheit die vulgäre Spitze seines experimentellen Philosophierens darstellt, noch "recht vernünftig" ist, so wird man den in ihm verhandelten Problemen kaum beikommen, indem man sich schlicht dieser restlichen Vernünftigkeit entledigt. Deleuze beklagt keineswegs, seine Pop-Träume nicht realisiert zu haben. Vielmehr äußert sich in der Widerstandskraft der übrig gebliebenen Vernunft, dass nicht ihre Abschaffung, sondern stets nur ihre Transformation wünschenswert sein kann. Die wenigen Leute innerhalb der Pop-Kultur, die die Bücher von Deleuze rezipiert und seinen schillernden Pop-Status begründet haben, dürften - wie Martin Büsser in seinem informierten Artikel hervorstreicht - von seiner vor allem in den 70er Jahren entwickelten Methode inspiriert worden sein, zwischen seriösen und nicht-etablierten Bezugsquellen hin- und herzuspringen. "Deleuze war als Philosoph in dem Maße antiphilosophisch, in dem auch Gruppen wie "The Red Crayola" und "The PopGroup" als nominelle Popgruppen antipop gewesen sind." Die philosophische Sensibilität für das Nicht-Philosophische, die Deleuze zeit seines Lebens eigen war, lässt sich fraglos mit bestimmten subversiven Strategien auch im Hinblick auf die Klischee-Maschine der Pop-Kultur verbinden. Deshalb rumort in den Büchern von Deleuze auch ein gewisser unterschwelliger ,Pop', den man nicht durch bloßes Abschreiben wiederfinden wird: die "unzeitgemäße" Lebendigkeit seines Denkens.

Titelbild

Marvin Chlada (Hg.): Das Universum des Gilles Deleuze. Eine Einführung.
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2000.
214 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3932710223

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