Objekt der Begierde

J. Randy Taraborrelli brüstet sich in seiner "Madonna"-Biographie mit Halbwahrheiten und weiß eigentlich nichts wirklich

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie großartig hatte der Verlag Hoffmann und Campe diese Biographie angekündigt und dabei keine Superlative ausgelassen: "Madonna - Die Biographie" sollte uns alles über den größten weiblichen Star des späten 20. Jahrhunderts verraten. Allgegenwärtig und überwältigend war Madonnas Medienpräsenz in den bisher siebzehn Jahren ihrer Musikkarriere, so dass man sich mit jedem Comeback einmal mehr fragte: Wie macht das diese Frau, die weder herausragend schön noch gottbegnadet talentiert ist?

Taraborrellis Biographie wäre nicht nur unter diesem Aspekt interessant zu lesen gewesen, hätte der Autor sich die Mühe gemacht, die Frau hinter dem Produkt Madonna zu erforschen. Stattdessen präsentiert Taraborrelli eine Zusammenfassung von unzähligen Interviews und Reportagen, die selbst denjenigen bekannt sein dürften, die Madonnas Karriere bislang ohne besonderes Interesse verfolgt haben. Der Autor stützt sich fast ausschließlich auf alte Presseberichte, die er hie und da mit Statements von nicht näher genannten "Freunden" oder Mitarbeitern aufpoliert oder mit Zitaten aus Interviews mit anderen Stars verbindet. Taraborrelli mag sich um Authentizität bemüht haben; dem Leser wird jedoch schnell bewusst, dass auch diese Biographie sich in eine lange Reihe nicht-autorisierter Biographien voller Halbwahrheiten einreihen kann. Trotz gelegentlicher Begegnungen und kurzer Gespräche zwischen Autor und Star hat Taraborrelli nie Zugang zu der Person Madonna Ciccone gehabt, stets bleibt er von ihrem Superstar-Status geblendet. Anstatt sich um die Erschließung von Madonnas Persönlichkeit zu bemühen, verliert sich Taraborrelli in Aufzählungen von Liebhabern, Platten, Skandalen und Filmen. Streng chronologisch hakt er Madonnas Lebensdaten ab und enthüllt dabei - nichts. Dies müsste man ihm nicht einmal übel nehmen, versuchte er nicht ständig den Eindruck zu vermitteln, er habe Zugang zu exklusiven Informationen gehabt, die der Öffentlichkeit völlig neu sein müssten. Seine journalistischen Methoden entpuppen sich dabei sowieso als zweifelhaft, dienen ihm doch Kellner und ehemalige Bekannte als Informanten, so dass man nicht umhin kann, sich zu fragen, welche Geldsumme wohl den Besitzer gewechselt hat, um diese Leute zum Reden zu bringen.

Überhaupt gelingt es dem Autor, das gesamte Buch hindurch dem Leser das Gefühl zu geben, Taraborrellis Komplize zu sein, erweckt er doch immer wieder den Eindruck, als habe er Madonna über Jahre hinweg heimlich verfolgt. So war Taraborrelli auch zugegen, als Madonna zusammen mit ihrem damaligen Partner, dem Schauspieler Warren Beatty, einen Nachtclub besuchte: "Der Autor - der Madonna wegen eines Features über sie beobachtete - sah zu, wie Warren die Unterlippe vorschob und den Kopf schüttelte." Erstaunlich, wie Taraborrelli dann trotz der lauten Musik in dem Club das Gespräch zwischen den beiden mitangehört haben will, in dem Madonna Beatty zum Tanzen aufforderte: ",Nein, es geht mir bestens', sagte er mit einem schwachen Lächeln. Dann zog er ein Antiallergikum aus der Jackentasche und sprühte es sich in die Nase. ,Ich bekomme kaum Luft', klagte er, ,wie soll ich da tanzen'?"

Wie ein roter Faden ziehen sich unzählige Male die Wörter "vielleicht" und "wahrscheinlich" durch die Kapitel und verstärken nur den Eindruck, dass der Autor überwiegend mit Gerüchten und Spekulationen arbeitet, sich dabei aber gleichzeitig davor schützen möchte, von Madonnas Seite juristisch belangt zu werden, weil seine Darstellungen nicht der Wahrheit entsprechen.

Immer wieder spickt Taraborrelli seine Schilderungen mit Dialogen zwischen Madonna und verschiedenen Freundinnen, Liebhabern, Mitarbeitern, so dass man nur annehmen kann, er habe Jahre als Wanze in Madonnas Nähe verbracht. Dennoch vermag es der Autor zu keiner Zeit, das Gefühl von Intimität aufkommen zu lassen, zu konstruiert und zu gewollt sind seine Versuche, sich seinem Gegenstand der Begierde zu nähern. Man mag ihm gleichwohl zugute halten, dass er nie in blinde Bewunderung verfällt; er ist durchaus zu kritischen Äußerungen in Bezug auf sein Observierungsobjekt fähig, auch wenn er dabei ebenfalls alle gängigen Klischees über Madonna bedient: "Jeder, der sie kannte, wusste sehr gut, dass Madonna - die in jenem August 26 wurde - keine besonders nette Frau war. Aber sie war objektiv, was sie selbst und ihre Unzulänglichkeiten betraf. Sie war zum Beispiel die Erste, die sich als ,ein Miststück' bezeichnete."

So bleibt ein schaler Geschmack im Mund zurück, verursacht von allerlei Pseudo-Wahrheiten, und das Gefühl, Taraborrelli habe dieses Buch weit eher geschrieben, um sein journalistisches Dasein zu rechtfertigen, als wirklich die Frau hinter einer Karriere, die ihresgleichen sucht. Aber um eines Tages die "wahre Madonna" entdecken zu können, wird der Leser wohl auf ihre Autobiographie warten müssen.

Bedauernswert ist auch so manche Inkonsequenz des Verlags: neben einer ganzen Reihe von Druckfehlern erweisen sich auch die Übersetzer in mancherlei Hinsicht als nicht souverän, was Terminologien und Liedtexte angeht. So wird die Sängerin Sheryl Crow als "Rocker" bezeichnet und somit männlich, während Zitate aus Liedtexten halb deutsch und halb englisch wiedergegeben werden.

Titelbild

J. Randy Taraborrelli: Madonna - Die Biographie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karin Schuler und Reiner Pfleiderer.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2001.
488 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3455066666

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