Provokation zum Gähnen

Arthur Hertzberg und Aron Hirt-Manheimer beschreiben den "jüdischen Nationalcharakter"

Von Anne NussbaumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Nussbaum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch, das Anstoß erregt - so die Autoren. Ungeachtet aller Political Correctness wolle man der Frage nachgehen, warum die Juden in der Geistesgeschichte der Menschheit stets eine herausragende Rolle gespielt hätten, und darum den "unwandelbaren jüdischen Charakter" definieren und die Juden so beschreiben, wie sie wirklich seien. Schließlich habe auch niemand Hemmungen, sich über den französischen, deutschen oder italienischen Nationalcharakter zu äußern.

Der Religionswissenschaftler und Rabbiner Arthur Hertzberg und sein Co-Autor Aron Hirt-Manheimer sehen den jüdischen Charakter von drei Dispositionen bestimmt, die sich aus religiösen Vorstellungen ableiten, aber auch in säkularisierter Form anzutreffen sind: die Juden als Erwählte, Aufrührer und Außenseiter. Demnach gehört es zum Kern des jüdischen Selbstbildes, ein erwähltes Volk zu sein, ein Volk mit einer besonderen Bestimmung von zuweilen transzendenter Bedeutung. Daher ist ihr Grundgefühl Stolz, nicht Angst, obwohl die Erwählung in biblischer Sichtweise nicht aufgrund einer besonderen Auszeichnung erfolgt. Dieses Grundgefühl kommt aus einer zweifachen Wurzel: einerseits aus dem Gefühl einer moralischen Sendung in der Welt, andererseits aus den vielfältigen Verfolgungserfahrungen, in denen ein Gefühl des Stolzes und der moralischen Überlegenheit über die Verfolger Trost spenden konnte. Intellektuelle hätten immer betont, dass es sich bei dem Erwählungsgedanken nicht um Herablassung handele, es sei aber nicht immer so verstanden worden. Als Resultat einer chauvinistischen Sichtweise wird Baruch Goldstein genannt, der im Februar 1994 in Hebron 29 Muslime erschoss. Eine Tat, die für die Mehrheit der Juden tief beschämend sei.

Zur Erwähltheit gehört der Gedanke einer Mission in der Welt. Die Juden, die nach eigener Interpretation aufgrund ihrer Sünden, "mipnej chata'enu", aus ihrem Heimatland vertrieben wurden und nun ein Leben in der Diaspora fristen müssen, dürfen sich Hertzberg gemäß nicht aus der Welt zurückziehen und sich mit Selbstvervollkommnung beschäftigen. Sie seien "auf der Erde, um unerschrocken zu sein". Dadurch dass sie zu allen Zeiten in fremder Umgebung ihre eigene, besondere Kultur pflegen wollten, seien sie zum Stachel in der Gesellschaft geworden - obgleich es auch immer Juden gab, die ihr Judentum ablegen und sich assimilieren wollten. Die strenge Beurteilung mache auch vor den eigenen Reihen nicht Halt: Selbstkritik und Zerstrittenheit kennzeichneten dieses "kosmopolitischste von allen Völkern", das nicht in einem Land leben könne, da kein einzelnes Land groß genug sei, "um die schöpferische Energie, vor der dieses Volk strotzt, zu bändigen" und in dessen Seele immer noch "etwas von einem Wanderer" stecke.

Diese Grundzüge des "jüdischen Charakters" werden nicht konsequent geschichtlich begründet, vielmehr werden sie als gegeben angesehen. "Das innerste Wesen des Juden war unserer Überzeugung nach bereits in der Person Abrahams angelegt und ausgebildet." Geschichtliche Belege für dieses "Wesen" liefert der zweite Teil des Buches. Dort bieten die Autoren eine Auswahl von Ereignissen und Persönlichkeiten, die von Abraham bis Woody Allen reicht. Sie sind allerdings hauptsächlich der westlichen Sphäre entnommen. Die zweieinhalbseitige Zeittafel belegt diese einseitige Auswahl ebenfalls: unter den wichtigsten Ereignissen der jüdischen Geschichte ist hier der Tod Heinrich Heines verzeichnet.

"Wer ist Jude?" So hat der Carl Hanser Verlag den schlichten Originaltitel "Jews" verändert. Der Leser erhält aber eine Antwort auf die Frage, wie ein Jude sei. Der Klappentext befindet, das Buch gebe eine "aufgeklärte und mutige Antwort auf eine Frage, die nicht durch Verschweigen, sondern nur durch Glaubwürdigkeit und Offenheit beantwortet werden kann." Was könnte denn hier verschwiegen werden? Und wer stellt diese Frage, die das Buch angeblich beantwortet?

Wer Arthur Hertzberg als Wissenschaftler kennt, wird sich über sein hier präsentiertes Geschichtsbild wundern. "Das Geheimnis des jüdischen Volkes liegt in der Grauzone zwischen Mythos und Geschichte." Vor diesem Hintergrund gelingen ihm keine intellektuellen Höhenflüge. Der teils normative, teils appellative Charakter des Buches hält mit seinem bekenntnishaften Unterton die Ausführungen an der Oberfläche. Im letzten Kapitel kulminiert dies. Die Autoren beschwören dort die Einheit des Judentums aller Glaubensrichtungen. Entzückt konstatieren sie ein wachsendes Interesse an der Tradition. Analysiert wird hier nicht, Gegenbewegungen verschwiegen. So ist das Buch, das eine Provokation sein will, in seiner Klischeehaftigkeit eher langweilig.

Titelbild

Arthur Hertzberg: Wer ist Jude? Wesen und Prägung eines Volkes.
In Zusammenarbeit mit Aron Hirt-Manheimer.
Carl Hanser Verlag, München 2000.
360 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3446197605

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