Zoten, Quoten, Peinlichkeiten

Benjamin von Stuckrad-Barre lästert sich einmal quer durch die Gesellschaft

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ob dieser oder jener Autor demnächst wieder vergessen sein wird, was also sein potentieller Rang in der Literaturgeschichte sein könnte, ist irrelevant. Gefragt ist Literatur mit Ad-hoc-Verbrauchswert: Literatur als Event zum Dabeisein und als Forum der Bestätigung des Lebensgefühls, das sich in der Aura des Jung-Autors als kreative Selfmade-Person widerspiegelt", so Richard Herzinger in der "Zeit".

Gelästert wird viel in diesen Tagen. Hausfrauen mit Kind in der U-Bahn, Philosophie-Studenten mit Birkenstock-Schuhwerk, Teilzeit arbeitende Friseusen in der Kaufhof-Feinkostabteilung - all diese "sozialen Randgruppen" sind Ziel des Spotts der Pop-Literatur und -comedy. Sie hat sich den Kampf gegen Normalität und Biederkeit auf die Fahnen geschrieben wie einst die 68er Generation - nur dass die heutige Fehde auf unpolitischerem, privaterem Niveau verläuft. Keine fiktionalen Geschichten werden erzählt, keine fein ziselierten Handlungsstränge gesponnen, nein: Es ist die Realität unserer Mediengesellschaft, die bei Max Goldt, Wiglaf Droste oder Christian Kracht im Mittelpunkt steht. Ein Lebensgefühl und damit eine spezifische Sicht der Welt soll vermittelt werden, deskriptiv und scharfzüngig, nicht erklärend - die Popularität der "Pop-Literatur" fußt auf dem Gemeinschaftsgefühl der Leserschaft, in stetiger Abgrenzung zu vermeintlichen Nonkonformisten und "Andersartigen".

Einer der bekanntesten Vertreter dieses Milieus ist wohl der Berliner Benjamin von Stuckrad-Barre, der sich mit Werken wie "Livealbum" und "Remix" den Ruf eines gut beobachtenden und gleichzeitig bitterbösen Literatur-Events erschrieben hat. Er sei "der stimmungsvollste Popliterat unter den deutschsprachigen Schriftstellern" und der "aufgeweckteste Beifahrer einer jungen Generation", heißt es folgerichtig bei Eberhard Rathgeb in der "F.A.Z.". Mit "Voicerecorder" liegt nun ein Mitschnitt von Stuckrad-Barres "Blackbox"-Tournee vor - nach "Voice Recordings" und "Bootlegs" das dritte Hörbuch.

Benjamin von Stuckrad-Barre - das ist ein plaudernder, ja geschwätziger "Chronist" unserer Zeit, die er mit all ihren Absonderlichkeiten, Vorurteilen und Gehässigkeiten seziert. Auch in "Voicerecorder", so schon der erste Eindruck, ist des Autors Erlebniswelt bevölkert von all jenen Versatzstücken und Banalitäten der Medienlandschaft, über die wir oft und gerne lachen - nicht jedoch ohne einen schalen Beigeschmack der Unmoral. Diesen Beigeschmack empfindet Schmidts Ex-Gagschreiber offenkundig nicht. Genauso wenig wie Selbstkritik: Ein Text der CD heißt "Inhalte einfügen" und mokiert sich über die Aussagelosigkeit deutscher Berufs-Blondchen wie Jenny Elvers. "Ich hatte eigentlich gedacht, so tief wie möglich gegangen zu sein und dass es schlimmer nicht geht", kommentiert der Niveaurichter und zieht sich dabei selbst den Fallboden unter den Füßen weg. Denn auch Teile seiner eigenen Texte sind durchaus inhaltsleer. Und dass es dann doch noch schlimmer geht, auch bei ihm selbst, zeigt er an anderer Stelle, wenn er über die Bedeutung von Erbrochenem lamentiert: "Kotzen kann sehr sinnlich sein. Kotze hat Körpertemperatur und ist sehr weich, somit optimal als prickelndes Erotikspielzeug verwendbar. Die Kotze gehört zu uns und kommt aus dem geliebten Menschen heraus - nur keine falsche Scham! Bezieht die Kotze in Euer Liebesspiel mit ein, die Kotze lässt sich gut auf dem Körper verteilen, verwöhnt Euch mit einer entspannenden Kotzmassage, die sicherlich Lust auf mehr macht. Der Fantasie sind gar keine Grenzen gesetzt, oh nein, Ihr könnt auch beim Aufwischen mit dem Wischmob masturbieren, und wenn es mal nicht so klappt, zum Stimulieren einen Dildo ganz weit oral einführen, dann kommt die Kotze irgendwann bestimmt, und los geht's."

Derartiges hat weder etwas mit Gesellschaftssatire noch etwas mit Witz zu tun, sondern ist schlicht und ergreifend peinlich. Geschockt durch Krassheit haben schon andere, dies aber weitaus überzeugender, weil zielgerichtet.

Stuckrad-Barre ist erträglich, wenn er seine Beobachtungsgabe unter Beweis stellt - etwa beim Räsonnieren über den WG-Alltag und den ganz normalen Wahnsinn beim Einleben in das Studentenleben. (Darf das gemeinsame Geschirr einen Tag stehen bleiben, oder muss direkt gespült werden? Wer bringt den Müll weg, wer putzt das Bad?)

Ähnlich wie bei Florian Illies' "Generation Golf" liegt der leider nur zeitweilig aufblitzende Charme von "Voicerecorder" dann auch im Wiedererkennen der einen oder anderen Situation aus der eigenen Wahrnehmung. Stuckrad-Barre drückt dabei das Lebensgefühl heutiger Jugendlicher in der (erweiterten) Adoleszenz aus. Den Freiheitsdrang eines jungen Mannes, der "zum ersten Mal möglichst weit weg von zuhause" rauschhaft die Individualität erfährt; genauso wie den schnellen Puls des Lebens in der alten und neuen Hauptstadt Berlin.

Extrem störend jedoch ist des Pop-Poeten Eitelkeit, die sich in enervierenden Anfällen von Selbstreferenz äußert - denn schließlich ist er selbst der größte und wichtigste Protagonist seiner Geschichten. Immer wieder erzählt Stuckrad-Barre von "meinen früheren Auftritten"; von dem bei "Rock am Ring" mit dem "richtigen Text im falschen Zelt" genauso wie von jenem am 3. Oktober in Magdeburg, wo er seinen Zuhörern ein kleines "Büffet" mitgebracht habe: "Und da haben die wirklich dann gedacht: Moment, 3. Oktober, Magdeburg - Du glaubst wohl, Du bist was Besseres mit Deinen Bananen, Du Arsch!"

Deutlich wird: Stuckrad-Barre hat Erfolg, weil er ungerecht ist und übersteigert - ein Erfolg, vergleichbar mit dem von Stefan Raab und Harald Schmidt. Heißt Satire doch heute oftmals, an den Rand des Zulässigen und noch ein Stück darüber hinaus zu gehen. Überhaupt Harald Schmidt! Bei "Voicerecorder" zeigt sich, wie sehr sich Stuckrad-Barre an sein Vorbild, seinen Ex-Arbeitgeber, anlehnt. Wortwahl, dramaturgischer Aufbau des Gags - sogar die Intonation müht sich um Annäherung an das Original. Und doch kann hier nur von "Annäherung" die Rede sein, denn der eitle Lifestyle-Autor der "F.A.Z." wirkt gegen Schmidts süffisant-subversive Boshaftigkeit oberflächlich unbeholfen wie ein Schuljunge, der seinem Idol nacheifert und es nicht erreicht. Nein, Harald Schmidt kann in Sachen spitzzüngiges und intelligentes Kabarett in Deutschland niemand das Wasser reichen, auch nicht Benjamin von Stuckrad-Barre.

Waren Stuckrad-Barres Ideen bei seinen ersten Büchern noch recht erfrischend, da neu und political incorrect, so ermüden Autor wie Werk mit jeder Buch- bzw. Hörbuchveröffentlichung zusehends. Da schreibt sich eine eitle Jungautorengilde, so der Eindruck, gegenseitig Ideen ab und Vorworte in des Andern Buch hinein; da finden Gastauftritte auf Tourneen des Autorenkollegen statt, und man ist schon längst nicht mehr verwundert, in einem neuen Buch von Max Goldt einen wohlmeinenden Kommentar von Stuckrad-Barre zu lesen. Ein elitärer Zirkel ist sie geworden, die deutsche "Pop-Literatur", die ihre einstige Stärke - die bissig-satirische Unkonventionalität - nicht weiterentwickelt hat.

Dass Stuckrad-Barre verreißen, verlachen, polemisieren kann, hat er bewiesen. Nun jedoch ist es auch für ihn an der Zeit, sich als geistvoller Schriftsteller zu bewähren, der nicht in die Realität beschreibenden Selbstbezügen verharrt.

Ansonsten bleibt zu befürchten, dass wir nach "Live" und "Remix" auch noch das "Best-Of", die "Special Edition" und die "Stuckrad-Barre-Anthology" auf Buchdeckeln entdecken und ertragen müssen. Zu wünschen ist dies weder uns noch ihm.

Titelbild

Benjamin von Stuckrad-Barre: Voicerecorder. Ausgewählte Aufnahmen der Blackbox-Tournee. 1 CD. Spieldauer ca. 71 Minuten.
Der Hörverlag, München 2001.
15,60 EUR.
ISBN-10: 3895848808

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