Darf's ein bisschen mehr sein?

In diesem Fall schon: Tom Waits wurde porträtiert

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Musiker Tom Waits gehört zu der Sorte Künstler, die von musizierenden Kollegen gerne gecovert werden. Das Kuriose daran ist, dass die Interpreten der Waits-Songs damit oft mehr Erfolg haben als der Autor selbst. So konnten so unterschiedliche Künstler wie Bruce Springsteen ("Jersey Girl"), Marianne Faithfull ("Strange Weather"), die Ramones ("I don't wanna grow up") und - für echte Waits-Fans unverzeihlich - sogar Rod Stewart ("Downtown Train", "Tom Traubert's Blues") mit ihren Interpretationen mehr Singles verkaufen als Waits in seiner gesamten Karriere. Tom Waits wehrt sich mit Inbrunst dagegen, einfach makellose Popware zu produzieren, obwohl er das Talent dafür hätte. Immer kleidet er selbst die lieblichsten Melodien in ein schäbiges, sperriges oder ganz und gar unzeitgemäßes Arrangement und krönt das Ganze dann noch mit seiner unverwechselbaren Stimme, die jedem HNO-Arzt die Tränen in die Augen treiben dürfte.

Seine Texte sind gespickt mit pragmatischen Sentenzen: "Don't you know there ain't no devil, there's just god when he is drunk" oder "Come down off the cross, we can use the wood", singt er lakonisch, aber meist sind es eher traurige Erzählungen von einsamen Underdogs oder "Raindogs", wie Waits sie nennt. Gestrandete, Säufer, Huren - Gestalten von jenem Schlag, wie sie Edward Hopper in seinem "Nighthawks" atmosphärisch verewigt hat. Den Drifter-Lifestyle, den Waits besingt, hat er sich bei Bukowski und Kerouac abgeschaut und eine Zeit lang sogar selbst praktiziert. Bis heute tritt er bei seinen seltenen und überteuerten Konzerten noch gerne mit schlecht sitzenden, schmuddeligen Anzügen auf - seine heterogene Fangemeinde erwartet das wohl von ihm. Die Figur Tom Waits erweckt damit manchmal den Eindruck einer begehrten Trophäe, mit der sich seine Apologeten gerne schmücken, um ein bisschen an der Aura des wild-romantischen Freaks teilhaben zu können, ohne sich den realen Gefahren des besungenen Milieus aussetzen zu müssen.

Der Künstler führt heute ein eher zurückgezogenes Leben, vorbei ist die Zeit, als er in den Siebzigern ein quasi öffentliches Leben im kalifornischen "Tropicana Motel" führte. Was dran ist an dem Mythos Waits, ist, will man das "offizielle" Gebiet der Promo-Interviews und Diskographien hinter sich lassen, gar nicht so leicht zu erkunden. Dies musste auch die Musikjournalistin Cath Carroll spüren, als sie anhob, ein Portrait des Musikers zu verfassen. Gleich mehrfach weist die Autorin in ihrem Buch entschuldigend darauf hin, dass die diversen Anekdoten, die sich um ihn ranken, nur schwerlich verifizierbar sind, stopft aber dennoch ausgiebig ihr Werk damit aus. Gut, das mag einer exzentrischen Person wie Waits durchaus angemessen sein, aber muss man gleich so weit gehen, auch noch die Witze zu zitieren, die Waits bei irgendeinem Konzert zum Besten gegeben hat?

Carroll nähert sich dem Musiker zunächst biographisch ("Die Geschichte"), sodann diskographisch ("Die Musik") und schließlich retrospektiv ("Das Vermächtnis"), gleichwohl sich der nunmehr 52-Jährige bester Gesundheit erfreut. Obwohl diese grobe Dreiteilung eigentlich keine Schwierigkeiten bereiten sollte, die vorhandenen Informationen in das jeweilige Kapitel einzuordnen, verliert Carroll dennoch oft den Faden, greift in der Biographie vor und zurück, schreibt im ersten Kapitel das an, was eigentlich nach hinten gehört und wiederholt sich permanent. Den Beitrag zu Waits' "Vermächtnis" - damit sind die anfangs erwähnten zahlreichen Coverversionen gemeint, aber auch seine Seitenprojekte wie die famose Zusammenarbeit mit dem Dramatiker Robert Wilson ("Black Rider") -, dieses Kapitel hätte man sich gut und gerne schenken können, es ist streckenweise eine einzige Paraphrase des zuvor Geschriebenen.

Das Kapitel zur Diskographie kann trotz einiger Schwächen überzeugen. Zwar schreibt Carroll auch hier äußerst distanzlos und unkritisch, aus der Fanperspektive heraus, aber ihr Unternehmen, jedes einzelne Lied, das Waits jemals geschrieben und publiziert hat, einfühlsam zu charakterisieren, ist dennoch erfolgreich. Sie beherrscht es, die zwischen Jazz, Blues und Folkrock angesiedelten, mal in klassischer Besetzung gespielten, dann wieder in experimentelle Arrangements gekleideten Stücke angemessen darzustellen. Überhaupt stellt Cath Carroll häufig unter Beweis, dass sie mit der Historie, dem Personal und der Terminologie der Popgeschichte durchaus vertraut ist. Umso unverständlicher, wie daraus dieses von Konzeptionslosigkeit, Redundanz und Oberflächlichkeit geprägte Portrait entstehen konnte.

Und dann auch noch die deutsche Übersetzung...: Ute Lemper wird unglücklich als "Kabarettistin" bezeichnet und die Lyrics werden falsch übersetzt: "Look here in my wallet, that's her" heißt es in der Ballade "Johnsburg, Illinois" und die deutsche Version sterilisiert daraus: "Die Person hier auf dem Bild, das ist sie." "What the fuck" sagen junge Amerikaner zu Recht, wenn ihnen derartige Missgriffe begegnen, "what the f**k" lautet dann der publizierbare Euphemismus und "was zum T***el" ist die verdeutschte Peinlichkeit, die es schließlich als verkrampfter Amerikanismus in die hiesigen Buchläden geschafft hat.

Eines der wenigen, aber hübschen Fotos des Bandes zeigt einen arg angeschlagenen Tom Waits am Klavier und ist in Anlehnung an seinen Klassiker "The Piano has been drinking, (not me)" trefflich untertitelt: "Es ist ganz bestimmt nicht nur das Klavier, das hier einen Drink zuviel genommen hat." Dieser Satz entwickelt nach Lektüre dieses Buchs seine ganz eigene Wahrheit.

Titelbild

Cath Carroll: The Music Makers - Tom Waits.
Übersetzt aus dem Englischen von Christoph Gurk.
Hannibal Verlag, Wien 2001.
162 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3854451903

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