Von Katzen und Lesben

Tanja Schwarz' Erzählband "Der nächtliche Skater"

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, davon träumen nicht nur die älteren Mitbürger unter uns. Wem es tatsächlich gelingen sollte, dem Tod noch einmal von der Schippe zu springen, muss sich danach nicht unbedingt besser fühlen. Tanja Schwarz beschreibt in ihrer Erzählung "Der gelbe Kran" dieses paradoxe Phänomen anhand einer jungen Frau, die um ein Haar von einem Kran in die Tiefe gestürzt wäre und nun trotz ihrer Unversehrtheit nicht glücklich sein kann, da sie von Schuldgefühlen geplagt wird. Denn der Tod muss sein Soll erfüllen, und wenn es nicht das bekifft auf einem nächtlichen Bauplatz herumkletternde Paar ist, dann erwischt es halt jemand anderen. Lady Diana und ihren Freund zum Beispiel. Die sind zwar bekanntlich nicht vom Kran gestürzt, aber in jener für die Erzählerin schicksalhaften Nacht gegen einen Brückenpfeiler gerast, exakt zur Zeit des Beinaheabsturzes. "Weder ich noch mein Freund Anton, wie er mir gestand, wurde beim Anhören dieser Gespräche oder beim Lesen der Zeitungsartikel das Gefühl los, am Tod dieser beiden beteiligt zu sein. Er hatte uns knapp verfehlt, in fünfzehn Meter Höhe über dem Markt, oder achtzehn oder weniger, und im selben Moment war jemand anders diesen Tod gestorben, der eigentlich mich meinte und meinen Freund Anton."

In Tanja Schwarz' Debütband "Der nächtliche Skater" geht es nicht immer um so große Themen wie Schicksalsmacht und Tod; es sind die kleinen Katastrophen des Alltags, die den Ton angeben. Herzeleid, enttäuschende Katzenschaubesuche und verpasste Schulchorauftritte. Die Bandbreite der zum Einsatz kommenden Charaktere ist groß, kann aber eine gewisse thematische Vorliebe der Erzählerin nicht verleugnen: Katzenmörderinnen, spontane Katzenschaubesucherinnen und von riesigen Katzen Verschlungene gibt es ebenso wie plastikdildotragende Dominalesben, notgeile Midlife-Crisis-Lesben und verschnupfte Liebeskummerlesben. Während einige Geschichten also thematisch miteinander korrespondieren, teilen sich andere das gleiche Personal. Dieses wird angeführt von einer, wie der Name verrät, vergötterten Gestalt mit Namen Gloria - überhaupt tragen Schwarz' Figuren gerne sprechende Namen wie Diva, Bella oder Bambina. Es handelt sich jedoch nicht um privatistische Verarbeitungs- und Mitleidsprosa, wie man aufgrund der Fixierung auf sich ähnelnde Personen und Themen vielleicht denken könnte. Das liegt nicht zuletzt an einer wohldosierten Portion trockenen Humors und einer Erzählweise, die bisweilen an den unterkühlten Sprachwitz einer Elfride Jelinek erinnert.

Eindrucksvoll geschildert wird etwa die schwierige Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer pubertierenden Tochter, die "hinter ihrem Haar wohnt", das sie sich als Schutzpanzer gegen die besorgte Übermutter hat wachsen lassen und der Mutter unentwegt Beleidigungen ins Gesicht schleudert. Bis es die Mutter nicht mehr wagt, "sie aufmunternd in die Wange zu kneifen, wie sie es früher gerne tat und dabei rote Mutteraugen kriegte." In einer befreienden Eskalation kippen die Rollenverhältnisse um, aus der Übermutter wird ein hilfloses "Mutterbaby" mit "am Scheitel grauen Haaren" und die Tochter entdeckt die Tugend des Mitleids wieder.

Ähnlich durch einen Panzer geschützt wie die pubertäre Tochter wirken die Erzählungen von Tanja Schwarz, einer 1970 geborenen Absolventin des Leipziger Deutschen Literaturinstituts. Sie verlässt nur selten, vielleicht auch ungern, ihren zur Schreibstube umgewandelten Hochsitz, um die Charaktere von innen heraus zu formen. Doch das ist kein Manko. Ihre bevorzugte und überzeugende Methode ist der kühle, aber niemals kalte Blick, der es ihr erlaubt, die Protagonisten der zwölf Geschichten bei ihrem manchmal etwas ratlosen Pendeln zwischen den Möglichkeiten ihrer unfertigen Existenz zu begleiten, ohne überheblich oder beherrschend zu wirken.

Titelbild

Tanja Schwarz: Der nächtliche Skater. Erzählungen.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2001.
149 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3378006382

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