Pop und Nichtpop und Antipop

Johannes Ullmaier schreibt DAS Buch zur deutschsprachigen Popliteratur

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach und Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Popliteratur, immer wieder. Überall gebrauchtes Modewort in Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet. Durchdachte Theorie, letzte subversive Instanz oder bloße Vermarktungsstrategie? Begegnet man dem Begriff heute, dann wahrscheinlich im Zusammenhang mit Namen wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht, Alexa Henning von Lange, Florian Illies, Rainald Goetz usw., vielleicht auch Wiglaf Droste, Max Goldt, Franz Dobler oder Feridun Zaimoglu. Aber: War da nicht mal mehr? Waren da nicht schon in den sechziger Jahren Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte, Jürgen Ploog, war da nicht mal Jörg Schröders legendärer MÄRZ-Verlag? Wie sind da nun die Verbindungen? Ist das wirklich alles Pop, was uns heute als Pop verkauft wird? Und: Was ist Pop? Höchste Zeit also, nachzufragen, um die zahlreichen Inhalte aufzudecken, die sich hinter "Pop" verbergen: Flashback!

"Flashback", so heißt das zentrale Kapitel dieses Buches, dass uns die Anfänge der Pop-Rezeption in Deutschland zeigt. Allen voran die von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla im MÄRZ Verlag herausgegebene Anthologie "Acid", in der die subkulturelle Literatur der amerikanischen Hipsters und Beatniks zum ersten Mal einem deutschen Publikum vorgestellt wurde. Dadurch entstand auch hierzulande erstmals eine Form von "Untergrund", was sicher auch durch die Politisierung der Literatur in den späten sechziger Jahren unterstützt wurde. Die Tendenzen hießen Literatur gegen das Establishment und Öffnung für neue, zusätzliche Medien. Basierend auf fundierten Grundlagen und Theorien der amerikanischen Vorbilder, wie etwa Leslie Fiedlers Postmoderne-Begriff oder William Burroughs Cut-Up-Prinzip, gab es etwa die Cut-Up-Umsetzung durch Jürgen Ploog, Bernward Vespers Drogenroman "Die Reise", die "Beat und Prosa"-Lesung von Hubert Fichte oder Ferdinand Kriwets "Mixed-Media"-Performances.

Zu jener Zeit bildete sich auch die Selbstdefinition von Pop heraus, nämlich jene von der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln, die dann subversiv und dissident wirken können, und die den jeweiligen technischen und theoretischen Gegebenheiten entsprechen. Zusammen mit dem Rebellischen der Beat-Musik hieß das: Immer alles anders machen als bisher.

In den siebziger Jahren verlor sich die Energie dieser Bewegung, die Protagonisten gingen entweder in den politischen Untergrund oder verschwanden gänzlich von der literarischen Bühne (Landkommunen-Escapismus, Esoterik, Ausverkauf oder gar Tod) und die frühen Siebziger gaben sich literarisch wie auch in den anderen kulturellen Segmenten eher profillos: "Der Marsch durch die Institutionen führte öfter nur in sie hinein als durch die durch - und Pop versank in Saturiertheit, Retro und Bombast."

Der Umschwung - und mit ihm neue Energie für subversive Bewegung - kam erst mit dem Punk: Doch erst mal gab es keine explizite Punkliteratur, wenn überhaupt, dann fand sich diese in den Songtexten von Bands wie "Hans-a-plast", "Deutsch-Amerikanische Freundschaft" und den "Einstürzenden Neubauten". Hinzu kam die vom Punk-Umfeld (Fanzines, Konzerte etc.) übernommene Energie der Do-it-yourself-Attitüde.

Auch die weitere Entwicklung der Literatur während der achtziger Jahre steht in engem Kontakt zur Musik, Überschneidungen sind selbstverständlich, bis heute: Thomas Meinecke, Fran?ois Cactus, Rainald Goetz.

In den neunziger Jahren dann teilte sich die "junge" Literatur, und es gab und gibt zwei parallel existierende Strömungen: Die eingangs bereits erwähnte "neue Popliteratur" auf der einen Seite, und die Social Beat- und Poetry Slam-Szene andererseits. Zur ersten findet sich im Buch das Kapitel "Republik Royal", und viele aktuelle Stimmen pro und contra "neue Lesbarkeit": Es werde sich im Wiedererkennungswert verloren, statt zu fordern und zu provozieren, die moderne Popliteratur habe einen zu affirmativen Bezug zu Lifestyle und Medien und scheitere sogar in ihrem Bemühen, eine authentische "Jugendsprache" wiederzugeben. "Die Feinde sind immer zu einfach, zu billig. Typen und Themen von gestern" (Franz Dobler).

Natürlich wird richtigerweise festgestellt, dass man die aktuelle Popliteratur nicht nur vor dem Hintergrund des 60er-Jahre-Pop wahrnehmen darf, sondern die aktuellen kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen muss: "Wer aber vom 'Marienhof' kommt, in dessen Resthirn muss ein Buch wie 'Soloalbum', ja überhaupt, die Idee ein Buch zu lesen, wie das Tor zum wilden Leben aufgehen", wird Georg Paul Thomann zitiert.

Der zweiten aktuellen Strömung, Social Beat und Poetry Slam, ist das Kapitel "Kaltland Beat" gewidmet:

Es wird klar, dass, sofern diese Tendenzen überhaupt eine Entwicklung im Sinne von "Pop" (also Bruch und Beschreitung neuer Wege) darstellten, dies nur in den Anfangszeiten von Social Beat und Poetry Slam so war, also um ca. 1993. Die ersten Social Beat-Festivals, die kollektive Selbstorganisation und die damit einhergehende neue Begeisterung für Untergrund-Literatur gaben sicher neuen Aufwind für die Autoren, die neue Lesungs-Form des Poetry Slam weckte neues Interesse beim Publikum. Leider hat sich dies nicht als dauerhaft erwiesen: Social Beat anno 2001 ist schon lange in endlosen Repetitionen versackt, während Poetry Slam zur reinen Stand-Up-Comedy geworden ist.

Ganz so nüchtern endet das Buch und die Geschichte des Pop natürlich nicht. Es gibt durchaus Autoren, die die einstmals von Brinkmann eingeführten Theorien mitsamt ihrem revolutionären Gestus aufgenommen und auf vielfältige Weise weiterentwickelt haben. So kann man beispielsweise Meineckes Sampling-Technik (z. B. in "Tomboy") auf die Cut-Up-Methoden der 60er zurückführen oder die Internet-Literatur (Rainald Goetz' "Abfall für alle", "ampool.de" von Sven Lager und Elke Naters oder auch Thomas Hettches "Null") als Beispiele für die Nutzung neuer technischen Möglichkeiten ansehen. Auch die Autor & DJ-Kollaborationen (Kathrin Röggla und Robert Lippok, Andreas Ammer und Console usw.) sind sicher nicht irrelevante Erscheinungen.

Verfolgt man die Entwicklung der Popliteratur von den 60ern bis heute, so lässt sich eine konstante Linie ausmachen. Von den Beatniks und Hipsters über den Punk und die Anfänge des Social Beat / Poetry Slam bis hin zu einzelnen Gegenwarts-Autoren folgt das Pop-Konzept der ursprünglichen, oben genannten Selbstbestimmung: Stetiges Neuerfinden, Subversivität, Aktualität, Überraschung, Dissidenz. Eindeutig ist, dass zu dieser Entwicklung die im Adlon versammelten Autoren nicht dazugezählt werden können.

Dennoch bleibt natürlich viel Nährstoff für weitere Diskussionen. Welche Ansicht man selbst auch immer vertritt, klar ist, dass Johannes Ullmaier, Jahrgang 1968, mit "Von Acid nach Adlon und zurück" ein detailliertes und umfassendes Buch über 40 Jahre Popgeschichte abgeliefert hat, an dem der zukünftige Diskurs nicht vorbeikommen wird: Wer mitreden will, muss dieses Buch gelesen haben. Gleichwohl kann bei einer solch großen zeitlichen Dimension kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Das Ziel war, den popliterarischen Kernbereich zu erfassen, und je weiter Autoren oder Werke sich von dieser eindeutigen Zurechenbarkeit befinden, umso weniger spielen sie hier eine Rolle. Dies kommt einem schlüssigen Überblick über die Geschichte der Popliteratur aber nur entgegen.

Ergänzend finden sich auf der beigelegten CD 50 Hörbeispiele und Ausschnitte aus Lesungen, Reden, Performances und Poetry Slams, die vielseitig ausgewählt sind und zusammen mit den zahlreichen, clever positionierten Illustrationen und der umfangreichen Bibliographie im Anhang (über 40 Seiten!) wirklich nur das eine Urteil erlauben: DAS Buch zur deutschsprachigen Popliteratur!

Titelbild

Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur.
Ventil Verlag, Mainz 2001.
216 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3930559838

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