Nachher war mir schon zum Weinen

Carl-Ludwig Reicherts kleine und äußerst feine Marieluise-Fleißer-Biographie

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da soll mal einer sagen, alle in einer Reihe erscheinenden Bücher würden wie von einem einzigen Autor geschrieben erscheinen. In diesem Fall hat das Verlagslektorat dem Autor alle Freiheit gelassen, und so ist eine wunderbar frische, witzige, tiefgründige Biographie entstanden. Fleißer wird immer präsenter, ihre schillernde Vielseitigkeit tritt in den verschiedensten Situationen zutage. Reichert schildert uns die ernsthafte, exakt arbeitende Schriftstellerin und die traumwandlerische Liebende. Feuchtwanger und Brecht werden in der Weise eingeführt, in der sie in Fleißers Leben traten, großkotzig und ihrer Macht voll bewusst. "Brecht wollte nicht sie allein lieben, sondern alle Frauen - zumindest wollte er möglichst viele von ihnen vögeln." Manch einer, der in den bisher erschienenen dtv-Monographien eine vornehme Zurückhaltung in der Wahl der sprachlichen Mittel gewöhnt war, wird sich umorientieren müssen. Hier hat jemand so geschrieben, wie es ihm in die Feder kam, und gerade das in manchen Ohren vielleicht krass Tönende des Ausdrucks passt einfach wunderbar zum Inhalt. Dies war die Welt der Marieluise Fleißer. Die Menschen und die Geschehnisse haben sich der Schriftstellerin nicht auf Taubenfüßen genähert und sie selbst hat nicht den zaudernden, zaghaften Ton gewählt, um zu sagen, was sie zu sagen hatte.

Reichert hat ein wichtiges Büchlein geschrieben, das all jenen, die sich wirklich auf diese radikale Autorin einlassen wollen, wärmstens zu empfehlen ist.

Titelbild

Carl-Ludwig Reichert: Marieluise Fleißer.
dtv Verlag, München 2001.
192 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3423310545

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