Alexandra Pontzens Studien über "Künstler ohne Werk" in Texten von der Romantik bis zur Gegenwart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die paradoxe Auffassung, dass es Künstler ohne Kunstwerke gibt, ist eine Besonderheit deutscher Künstlerliteratur. Ihre Wurzeln liegen in der Genieästhetik und im Werkbegriff des deutschen Idealismus, ihre Wirkungen betreffen Ideen- und Literaturgeschichte und reichen bis in die Poetik der Moderne. Die Studie untersucht die Verflechtung von Motiv- und Ästhetikgeschichte des "Künstlers ohne Werk" von den Anfängen um 1800 bis in die Gegenwart. Einzelanalysen von Texten der fiktionalen Künstlerliteratur (u. a. von Wackenroder, Tieck, E. T. A. Hoffmann, Bernhard, Schnitzler, Heiner Müller) illustrieren die Stationen des Motivs: "Raphael ohne Hände", Heros der Schriftverweigerung, steriler Dilettant, vazierendes Genie, Geistesarbeiter mit "Studie im Kopf", Opfer der Schreibhemmung und Märtyrer des Werkverzichts. Die Variationen verweisen auf die Bandbreite einer (bislang ungeschriebenen) negativen Ästhetikgeschichte.

Die Arbeit analysiert philosophische, soziologische, psychologische und kunsttheoretische Voraussetzungen des Werkverzichts wie Genie-Idee, Autonomie der Kunst, Publikumsverachtung, Writer's block, Sterilität der Spätzeit, Ideal des immateriellen Artefakts, 'Kunst im Kopf', negative Erhabenheit. Poetologische und komparatistische Fragestellungen gelten den Narrationsmodellen, die es der deutschen Literatur anders als der französischen erlauben, den Unproduktiven glaubwürdig als Künstler und das nicht-vorhandene Werk als "absolutes Kunstwerk" darzustellen. Der Versuch einer Systematik des Werkverzichts in Argumentation und Narration versteht sich als Grundlage einer Funktionsgeschichte des Künstlertums ohne Werk innerhalb der deutschen Kulturgeschichte.

A. P.

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Titelbild

Alexandra Pontzen: Künstler ohne Werk. Modelle negativer Produktionsästhetik von Wackenroder bis Heiner Müller.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2000.
430 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3503049738

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