Die beste Platte des Jahres!

Diedrich Diederichsen führt uns durch 20 Jahre Musikgeschichte

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Plattenkritiken sind immer mehr als nur eine Besprechung der jeweiligen Platte: Sie verraten immer auch viel über das Umfeld und die (musik-kulturelle) Herkunft des Rezensenten und können im günstigsten Fall gar ein adäquater Spiegel der aktuellen musikalischen und kulturellen Entwicklungen sein.

Aus dieser Zeitgebundenheit heraus erklärt sich, weshalb Plattenkritiken auch nur mit dem jeweils gültigen Wissen um den gerade aktuellen Status quo im Musikgeschäft so richtig verständlich sein können. Denn ohne Relationen lassen sich stilbezeichnende Begriffe wie "hart", "wegweisend" oder "authentisch" weder bestimmen noch verifizieren.

Diedrich Diederichsen, spätestens seit seiner Zeit als Mitherausgeber der Musikzeitschrift "SPEX" der "Kritikerpapst" schlechthin, hat in dem Band "2.000 Schallplatten, 1979-1999" seine Rezensionen aus "Spex", "Sounds" und "Konkret" zusammengestellt und mit Kommentaren versehen. Er stützt sich dabei auf sein 1989 erschienenes Buch "1.500 Schallplatten" und hat nun die Zusammenstellung um die bis ins Jahr 2000 hinzugekommenen Besprechungen ergänzt.

Natürlich ist dies kein Buch, dass sich wie ein solches lesen lässt, große Teile wird man immer auslassen, und natürlich braucht man nicht unbedingt Plattenkritiken über Platten zu lesen, die man nie gehört hat, noch je hören wird. Dennoch macht es nicht nur Sinn, sondern auch Spaß, die Rezensionen nicht nur über Platten zu lesen, die man selbst kennt, denn durch die zeitliche Distanz zum Entstehungszeitpunkt der Kritik wirkt heute manches komisch, manches auch hoffnungslos den damaligen Trends verfallen. Dennoch kann behauptet werden, dass Diederichsen nie ein subjektiver, impulsiver Rezensent war.

Im zeitlichen Ablauf (die Rezensionen sind chronologisch geordnet) lässt sich sehr gut die Entwicklung nicht nur der Musik selbst, sondern auch die der Musikkritik im Allgemeinen und die von Diederichsens Kriterien und Ansichten im Besonderen ablesen.

Es fällt jedoch bei vielen Rezensionen schwer, das damals Gesagte heute auf die immer noch gleiche Platte anzuwenden. Zum Beispiel kann man sich mit Recht darüber wundern, wie Diederichsen 1989 anhand einer so "eindeutigen" Hardcore/Straight-Edge-Platte wie Fugazis "Repeater" in der Rezension von schwarzem Soul und R'n'B sprechen konnte.

Unterhaltsam auch manche totalen Fehleinschätzungen, etwa wenn aus Prinzip die wirklich schwachen späten Alben der Fehlfarben verteidigt bzw. gerechtfertigt werden oder Gleiches bei der zweiten "Hans-a-plast" geschieht (was Diederichsen dann rückblickend kommentiert mit "alle deutschsprachigen Platten maßlos überbewertet" oder "Tiefpunkt meiner Kritikerlaufbahn").

Es ist schon ein gutes Gefühl, aus der heutigen, so viel wissenderen Position heraus, was die weitere geschichtliche Entwicklung von Musik allgemein und die der jeweiligen Bands und ihrer Bedeutung und Position in dieser Geschichte betrifft, die ersten namentlichen Erwähnungen, die ersten Reaktionen auf solch wegweisende Bands wie The Fall, Descendents oder Sonic Youth mitzubekommen; oder auch die komplette Entwicklung des HipHop seit Grandmaster Flashs "The Message".

Schön ist auch, sich mit Diederichsen gemeinsam über die Entdeckung von Max Goldt und seinen Foyer Des Arts zu freuen, oder mit ihm gemeinsam andere kleine Perlen der Musikgeschichte auszugraben, wie etwa die erste Platte der Kolossalen Jugend und mit ihr die Geburtsstunde der sogenannten "Hamburger Schule" zu erleben.

Insgesamt ein Buch, das wohl nur wirklich Musikinteressierten zu empfehlen ist (sofern diese nicht sowieso schon die letzten zwanzig Jahrgänge der "SPEX" in ihren Regalen archiviert haben), für diese aber mit Sicherheit ein unterhaltsames und informatives Nachschlagewerk.

Titelbild

Diedrich Diederichsen: 2000 Schallplatten von 1979-1999.
Hannibal Verlag, St. Andrä Wördern 2000.
300 Seiten, 25,60 EUR.
ISBN-10: 385445175X

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