MTV Goes Gassi

Ein Buch wie ein Scheißhaufen: Arthur Nersesians MTV-Buch "Hundewiese"

Von Tom TerrorRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tom Terror

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hundewiese? Ein MTV-Buch? Was'n jetzt los? Ist die MTV-Generation etwa erwachsen geworden? Hat sie nach 20 Jahren endlich das Lesen und Schreiben gelernt? Oder ist das das von vielen herbeigesehnte Ende der Spaßgesellschaft? Oder schlimmer noch: erst ihr Anfang? Na, mal schauen, oder besser: lesen.

Mary Bellanova ist Ende zwanzig, lebt im New Yorker East Village, jobbt, schreibt und tingelt mit ihrer Männer mordenden Busenfreundin Zoë von Bar zu Bar. Ihr derzeitiger Freund, Primitivo Schultz hat sich nach anfänglicher Euphorie als Langeweiler erwiesen. Aber das ist immer noch besser, als sich von irgendeinem vermeintlich netten Typen abschleppen zu lassen, der sich dann als manischer Schläger oder neurotisch Gestörter herausstellt. Was ja eigentlich Standard wäre im New York der ausgehenden neunziger Jahre.

Primo stirbt schließlich - sitzt eines Tages, wie fast immer, apathisch vor dem Fernseher, reagiert so ganz und gar nicht, nicht einmal auf die lieblos zusammengemanschte Pasta. Primo ist hinüber. Wahrscheinlich hat MTV ihn umgebracht, denkt sich da der eine oder andere. Schön wär's. Aber dem ist leider nicht so. Stattdessen lässt Nersesian seine Protagonistin Gassi gehen, denn da ist ja noch Numb - "eine wüste Mischung aus jedem läufigen Köter" und Primos größte Hinterlassenschaft.

Die Hundewiese des nahe gelegenen Parks wird somit zum Ausgangspunkt für eine sehr obskure Form von Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung, bei der sich letztlich herausstellt, dass Primo keineswegs der Langeweiler war, für den sie ihn immer gehalten hat. Lebenskünstler? Pornoautor? Maler? Musiker und Beste-Freundinnen-Vernascher? Vater und Performer? Hundebesitzer? Dies alles soll Primo gewesen sein? Unfassbar!

Mary ist geschockt. Gleichwohl erwacht in ihr der Ehrgeiz, mehr zu erfahren. Wie ferngesteuert schlängelt sie sich durch das dichte Gewirr des durchgeknallten East-Villages, und rückt der vermeintlichen Wahrheit immer näher: Primo hat alle ständig - wenn auch charmant - betrogen. Je wüster sich Mary Primos wirkliches Leben offenbart, desto absurder verläuft ihr eigenes Leben. Ein asiatischer Fußfetischist treibt sie mit seiner Zunge für eine Nacht auf den Gipfel der - befremdlichen - Lust, und bei einer Striptease-Bar-Bekanntschaft entgeht sie nur knapp einer Vergewaltigung. Nach 276 Seiten ist dann Schluss mit lustig, und Mary steht kurz vor ihrer vielleicht doch noch beginnenden Schriftstellerkarriere. Und dann ist da ja auch noch der Typ mit den vielen Tatoos - "Tatoo Man", mit dem es sich vielleicht doch noch lohnt.

In den USA ist Arthur Nersesian durch seine Romane "The Fuck Up" und "Manhattan Loverboy" bekannt geworden, das MTV-Buch "Hundewiese" ist sein erstes Buch in deutscher Übersetzung. Und man kann nur hoffen, dass es dabei bleibt. "Hundewiese" ist kein Buch. "Hundewiese" ist eine Zumutung - inhaltlich wie sprachlich.

Und wenn die TV-Spielfilm-Werbung auf Seite 187 nicht wäre, wäre ja auch alles nur halb so schlimm, aber so gehört es auf die nächste Hundewiese, zu den anderen Scheißhaufen. "MTV makes me wanna smoke crack", sang vor Jahren schon der große Beck Hansen. Nach "Hundewiese" müsste er den Titel dieses wunderbaren Songs eigentlich in "MTV makes me read some shit" umtexten, oder wenigstens in: "MTV writes shit".

Titelbild

Arthur Nersesian: Hundewiese. Ein MTV Buch.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter.
vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2001.
280 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3802528212

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