Anleitung zum Ego-Dasein

Florian Illies' "Anleitung zum Unschuldigsein" verpasst knapp den Zeitgeist

Von Heike SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer denkt über die globale Umweltverschmutzung nach, wenn er den Müll komplett in oder gar neben die graue Tonne wirft? Wer schämt sich vor seiner namenlosen Putzfrau, wenn er ihr vom Ohrensessel aus beim Schrubben zuschaut? Wer traut sich nicht, dem Obdachlosen eine klare Absage für seine zerknitterte Zeitung zu geben und wer bitte kauft Drückerkolonnen an der Haustür Abos für "Heim & Garten" ab?

In "Generation Golf" verbündete Florian Illies uns Wohlstandskinder unter dem Konstrukt der Generation, schaffte ein unbehagliches "Wir"-Gefühl der Markenjunkies und landete damit einen monatelangen Bestseller in Bestsellerlisten. Mit "Anleitung zum Unschuldigsein" kann er das Klassenziel nicht erreichen. Niemand will unschuldig sein. Gemeinschaft ist ein Fremdwort, Verantwortung kein Begriff und (Bedienungs-)Anleitungen können wir nicht lesen; Teil A passt nicht zu Teil C und genauso wenig ist Illies' Anleitung verständlich - "U" wie Unschuld passt nicht zu "E" wie Egoismus. Illies will uns mit seinen Übungen zum Unschuldigsein den drastischen Weg aus der Gewissensfalle zeigen, die jedoch gar nicht existiert. Die Person, die er beschreibt, geplagt von Gewissensbissen gegenüber allem und jedem, ist eine erstaunliche Ausnahme und schon allein durch die Reflexion ihrer Situation und ihres Tuns nahezu ehrenrührig. Sie zeigt allerdings deutliche Anzeichen hysterischer Aussetzer vor lauter seelischer Verzweiflung: "Heute lasse ich mir von einem Schuhputzer auf der Straße vor aller Augen minutenlang die Schuhe putzen."

Niemand hat ein schlechtes Gewissen, denn obgleich pathetisch klingend, wir sind doch gedanklich voll und ganz mit uns beschäftigt - mir geht es gut, was kümmert mich der Rest. Einzig und allein im privaten Familienumfeld und Freundeskreis, da ist Florian Illies zuzustimmen, sind Gewissensbisse à jour. Unsere heile kleine Welt, die durch Omas Haus in Hückeswagen und Papas Porsche in der elektrischen Garage in Köln begrenzt wird, soll es heiter und unbeschwert zugehen. Geburtstage dürfen nicht vergessen und Familienfeierlichkeiten nicht verschlafen werden, und auch mit dem besten Freund ab und zu ein Bierchen zu trinken - all das ist machbar und nützlich, schließlich wollen wie nicht gefühlsarm zu Grunde gehen. Unsere Bemühungen gegenüber anderen sind nur vom eigenen Überlebenstrieb gesteuert und messen sich an der Latte des effektivsten Nutzens: wenig geben, viel nehmen. Klares Kalkül bestimmt unseren persönlichen Stimmungsgrad.

Ratgeber haben nur dann Hochkonjunktur, wenn im Titel das Wörtchen "ich" vorkommt - Anleitung zum Egodasein - das wäre die passendere Bettlektüre. Unschuldigsein nach Illies, Unglücklichsein nach Watzlawicks Millionen-Seller, diese Gefühlssammelsurien erregen heute nur dann das Interesse, wenn sie uns auf unserem Ego-Trip ein guter Seelentröster sind. Illies' fiese Übungen am Ende jedes Kapitels kommen dem Ideal des durchschnittlich Ich-Süchtigen allerdings vielversprechend nahe: "Übung: Wenn wir einen Tanzkurs machen oder Volleyball spielen, lassen wir uns von allen Mädchen, die nie gewählt werden, einen Zettel unterschreiben, auf dem sie uns versichern, uns im weiteren Verlauf ihres Lebens nie in Fußgängerzonen anzusprechen." Genau das ist die richtige Tonart und bestätigt: Unschuldigsein ist nicht das Ziel, und die Schuldfrage nie der Ausgangspunkt. Außer Frage steht: Florian Illies' "Anleitung" ist gute Unterhaltung in Buchform; hat den gewohnten Sarkasmus, die spitzfindige Ironie des literarischen Vorgängers "Generation Golf". Bereits in seinem Erstlingswerk bewies Illies, wie eine gute Idee, sorgfältige Recherche und Beobachtungsgabe erfolgreich zu Papier gebracht werden können. Das neue Buch kränkelt etwas am Ideenreichtum des ersten. Ähnliche Umsetzung des Buchumschlags, vergleichbarer inhaltlicher Aufbau der Kapitel und ermeut ein Stichwortregister im Anhang - das ist in der zweiten Umsetzung einfach weniger originell. Und so überblättert man mutig einige Seiten, in der Ahnung, nichts Außerordentliches zu verpassen, gerade gen Ende. Da packt Illies auch noch das Weihnachtsfest-Gewissen auf den Gabentisch und langweilt ein wenig mit tantenhaften Beschreibungen maulender Enkelkinder im Geschenke-Chaos. Ich rate: Lesen Sie die "Anleitung zum Unschuldigsein" und sie werden merken, wie schlecht Sie wirklich sind.

Titelbild

Florian Illies: Anleitung zum Unschuldigsein.
Argon Verlag, Berlin 2001.
254 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3870245441

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