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Rap-Texte als Arbeitsmaterialen für den Unterricht

Von Mischa GayringRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mischa Gayring

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Rap hat auf seine Art eine literarische Revolution ausgelöst: in Kinderzimmern, in Jugendhäusern, in Parks und auf der Straße, in Kneipen, Diskotheken und auch auf Schulhöfen wird wieder gereimt, gedichtet und in Versen gestritten: Rap ist heute ein fester Bestandteil der Jugendkultur.", heißt es im Klappentext zu der jüngst im Reclam Verlag erschienenen Anthologie "Rap-Texte. Arbeitstexte für den Unterricht".

Von Cora E. und Marius No. 1 ("... nur ein teil der kultur") über die Fantastischen Vier ("tag am meer") und Freundeskreis ("leg dein ohr auf die schiene der geschichte") bis hin zu A 16 X ("es geht bergab") und den Absoluten Beginnern ("ich liebe die beginner") umfasst diese, von Sascha Verlan herausgegebene und mit kurzen Kommentaren versehene Textsammlung insgesamt 38 Texte, die entweder dahergehend ausgewählt wurden, weil sie für die HipHop-Bewegung in Deutschland "von besonderer Bedeutung" sind oder aber literarisch gesehen besonders ansprechend, so dass sie sich für den Literatur- bzw. Deutschunterricht eignen, um beispielsweise auch Vergleiche zu ziehen, zu Goethe, zu Schiller, zu Heine. "Denk ich an Deutschland in der Nacht / dann bin ich um den Schlaf gebracht / Ich kann nicht mehr die Augen schließen / und meine heißen Tränen fließen."

Besonders hervorzuheben ist zudem die kurze "Einführung" in die Geschichte des HipHop, die sowohl kompakt als auch kompetent vom Herausgeber verfasst, dem eigentlichen Arbeitsmaterial vorangestellt ist. Auch die Textauswahl, die neben einer thematischen Zuordnung (Definitionen, Posse Tracks, Message Raps etc.) auch eine topografische Unterteilung (Ulm, Stuttgart, Bremen, Hamburg usw.) vornimmt, ist löblich, da sie unter anderem eine kritische Auseinandersetzung mit der neuen deutschen Reimkunst ermöglicht, was dem Unterricht nur zugute kommen kann.

Alles paletti also, jetzt müssen nur noch die Homies hinter den Schulbänken mitspielen. Aber da lauert auch schon die Gefahr, wie Verlan selbst weiß: "Erwachsene, insbesondere Lehrer, werden schnell als unerbetene Eindringlinge angesehen. Dies erfordert einen sensiblen Umgang mit dem Thema seitens der Lehrer und eine verstärkte Einbeziehung der Schüler in die Unterrichtsplanung und -gestaltung [...] Vielleicht ist sogar daran zu denken, Rapper in die Klasse einzuladen." Denn im Grunde genommen ist der deutsche Rap nichts anderes als die Gegenreaktion einer Generation, die sich die rhetorischen Waffen ihrer Eltern und Lehrer zu Eigen gemacht hat. Ich schütte dich mit Sprache zu, bis du in die Knie gehst: Und zwar nicht nur mit vernünftigen Argumenten, sondern mit unvernünftigen Reimen, Rhythmen, mit Assoziationen, Alliterationen und all den Spielereien, die die Sprache zu bieten hat. Und wer Rap als 'Literatur' begreift, sollte daher nicht verkennen, dass es sich dabei also vor allem um eine 'Anti-Literatur' handelt - eine bewusst oder unbewusst abgegebene Stellungnahme gegen die Vernunftrhetorik und die literarischen Vorbilder des Establishments.

Was andererseits aber auch heißt, dass die Schüler von diesem Unterrichtsstoff tendenziell immer weit mehr verstehen werden als ihre Lehrer. Bereits 1992 hatte Alan Kaufman, einer der einflussreichsten Slam-Poeten aus den USA, darauf hingewiesen, dass ein Rap-Anhänger als literarisch gebildeter bezeichnet werden könne, als ein Literaturabsolvent: Ein Durchschnittsjugendlicher weiß mehr ellenlange Rap-Texte auswendig als ein Literaturabsolvent traditionelle Gedichte hersagen kann. Nicht zu Unrecht, möchte man da glauben.

Aber wie ein Lehrer mit diesem Lehrstoff umzugehen weiß, können auch diese "Arbeitstexte für den Unterricht" nicht beeinflussen. Es liegt letztlich an den Pädagogen selbst, was sie daraus machen. Doch als Lektüre ist dieses Beispiel einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen HipHop-Kultur rhythmisch einwandfrei, clever getextet und unbestritten engagiert. Sascha Verlan hat mit dieser Textsammlung endgültig die literaturwissenschaftliche Relevanz von Rap-Texten bewiesen. Man kann ihn hierfür nur beglückwünschen.

Titelbild

Sascha Verlan (Hg.): Rap-Texte. Arbeitstexte für den Unterricht.
Reclam Verlag, Stuttgart 2000.
126 Seiten, 3,10 EUR.
ISBN-10: 3150150507

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