Briefliche Leidenschaft und schnöde Realität

Rilkes Briefwechsel mit Benvenuta

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rilkes Liebe zu Magda von Hattingberg führte für geraume Zeit ein literarisches Eigenleben. Hattingberg mochte die Dokumente ihrer Beziehung lange nicht den Philologen und Editionsspezialisten überlassen, sondern hat sie selbst unter dem Titel "Rilke und Benvenuta" editiert. In dieser 1943 anonym erschienenen Ausgabe von Rilkes Briefen geht sie allerdings recht unphilologisch vor, sie vermischt die Brief-Edition mit persönlichen Erinnerungen, eigenen Tagebuchnotizen und Auszügen aus Briefen an Freunde. Hattingberg zeichnet ein zwar subjektives, aber gleichzeitig ausgesprochen lebendiges Bild einer eigentümlichen Beziehung. Ihre Sprache ist emotional und überschwänglich, aber damit wird sie dem Ton der Briefe und der Beziehung durchaus gerecht.

Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg haben nun den Briefwechsel zwischen Rilke und Magda von Hattingberg in einer vom Insel Verlag herausgegebenen Ausgabe bearbeitet. Ihre Edition ist sorgfältig kommentiert, ein knappes Vorwort erläutert den Kontext und ein Nachwort die Editionsgeschichte. Unter philologischen Gesichtspunkten betrachtet ist Schnacks und Scharffenbergs Ausgabe sicherlich mustergültig, der Geschichte, die in jenen Briefen steckt, werden sie allerdings weniger gerecht. Dies ist um so bedauerlicher, da es sich um eine Liebesgeschichte handelt, die weitgehend brieflich stattfand und damit eigentlich als Herausforderung für eine Brief-Edition gelten sollte. Am 22. Januar 1914 schreibt die junge Pianistin Magda von Hattingberg dem ihr unbekannten Dichter Rilke einen bewundernden Brief, in welchem sie über ihre Erfahrungen beim Lesen seiner "Geschichten vom lieben Gott" berichtet. Irgendetwas in ihrem Schreiben muss Rilkes Gefühle berührt haben, denn nur wenige Tage später antwortet er mit einem langen und ausgesprochen freundschaftlichen Schreiben. Sie korrespondieren daraufhin fast täglich, innerhalb von zwei Wochen entsteht ein Gespräch über privateste Dinge. Angesichts der brieflich ausgedrückten Zuneigung dringt Hattingberg auf eine persönliche Begegnung, was ihm nun ganz entschieden zu schnell geht. Rilke scheint nicht nur in diesem Fall mit einer korrespondierenden Beziehung recht zufrieden zu sein. Die Briefe werden bald leidenschaftlich, Magda von Hattingberg wird zu Benvenuta, zur Willkommenen. Sie wird für Rilke zum Inbegriff der Weiblichkeit schlechthin. Freundin, Schwester, Mutter, Mädchen, Kind und Geliebte sind die Rollen, in denen er sie sieht. Hattingberg geht allerdings nur bedingt auf diese Projektionen ein, Magda beharrt sanft, aber nachdrücklich auf ihrer Individualität und versucht auch immer wieder das Gespräch unter Künstlerkollegen. Sie schreibt ihm über neue Tendenzen in der Musik, ihren Lehrer Busoni und ihre gescheiterte Ehe. Was ihn im Gegenzug dazu veranlasst über seine gescheiterte Ehe und seine Erfahrungen mit der Psychoanalyse zu berichten. Insgesamt aber sind Rilkes Briefe nicht von dieser Welt, Gefühl, Dichtung und Traum sind seine Themen. Ihre poetische Intensität machen sie einzigartig, sie zählen sicher zu den schönsten Liebesbriefen, die es in der deutschen Literatur gibt. Genau dies aber sollte für die Liebenden zum Problem werden, denn als sie sich nach einem Monat intensiver Korrespondenz schließlich begegnen, kann Rilke den Erwartungen der Geliebten kaum gerecht werden. Bereits in den Briefen ließ Rilke gelegentlich seine Angst vorm "Nichtkönnen", vor der schnöden Realität der Liebe anklingen, die sich bald als berechtigt erwies, denn nach wenigen Wochen des Beisammenseins trennten sich Rilke und Benvenuta.

Mit der persönlichen Begegnung hören auch die Briefe auf und die vorliegende Edition gibt nur die wenigen Kommentare Rilkes wieder, die er über die Liebe zu Benvenuta und deren Scheitern gemacht hat. Hattingbergs Schilderungen aus "Briefe an Benvenuta" werden weder zur Beziehung insgesamt noch zu deren Ende herangezogen. Diese Entscheidung der Herausgeberinnen ist schwer nachvollziehbar, denn Hattingbergs Erinnerungen sind in vielen Punkten die einzig vorhandene biographische Information. Sie sind zudem seit langem vergriffen und insofern für viele Interessierte schwer zugänglich. Hier wäre sicherlich eine großzügig illustrierende Verfahrensweise für Leser, die auch an der Biographie Rilkes interessiert sind (und wer möchte bei soviel Leidenschaft nicht wissen, wie die Geschichte weitergegangen ist), von Nutzen gewesen. Abgesehen davon ist die Kommentierung der Briefe sehr gründlich und detailliert.

Mit Ingeborg Schnacks und Renate Scharffenbergs Edition liegt nun eine solide Textgrundlage für weitere wissenschaftliche Arbeiten an einem Briefwechsel vor, der Interpretationen geradezu herausfordert. Er enthält nicht nur atemberaubende Liebesbriefe, sondern gibt auch Auskunft über die Mentalität und die emotionale Verfasstheit deutscher Künstler am Vorabend des ersten Weltkriegs.

Titelbild

Rainer Maria Rilke: Briefwechsel mit Magda von Hattingberg.
Herausgegeben von Ingeborg Schnack und Renate Scharffenberg.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
239 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3458170138

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