Konzept einer Medienkulturgeschichte

Werner Faulstich untersucht Medien der frühen Neuzeit

Von Uwe GoppoldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Uwe Goppold

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werner Faulstich hat in seiner insgesamt auf zehn Bände angelegten Analyse kultureller Relevanz von Medien seit den Anfängen bis zur Gegenwart nach Antike und Mittelalter nunmehr die frühe Neuzeit erreicht. Im hier vorliegenden dritten Band wird auf der Folie der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Phänomene der Jahrhunderte zwischen 1400 und 1700 der Frage nach dem Zusammenhang von gesellschaftlicher Struktur und der Funktion von Medien nachgegangen. Das - vor allem im Vergleich mit den vorangehenden Zeitabschnitten - signifikante Merkmal der frühen Neuzeit sei - so Faulstich - die "erste mediale Weltveränderung in der Kulturgeschichte der Menschheit", der Wandel von der "Dominanz der Menschmedien zur Dominanz der Druckmedien", der sich in diesem Zeitraum vollzogen habe. Faulstich untersucht die traditionellen und die neuen Medien vor dem Hintergrund der "Domänen gesellschaftlichen Wandels": Humanismus, Frühkapitalismus, städtische und ländliche Gesellschaft, Reformation, Krieg, Absolutismus und neue Medientechnik. Damit ist die Struktur des Buches bereits vorgegeben: In den insgesamt dreizehn Kapiteln des Bandes werden an diesen Kristallisationspunkten - freilich mit unterschiedlicher Gewichtung - medienhistorische Veränderungen sowie deren soziale und politische Bedeutung erarbeitet.

Wie schon in den beiden bereits vorliegenden Untersuchungen zu Antike und Mittelalter wird auch in diesem Band das Konzept einer übergreifenden "Medienkulturgeschichte" im Sinne einer Geschichte sämtlicher Medien des Untersuchungszeitraums in ihrer Totalität, ihrer Vernetzung und Funktion für die Gesellschaft verfolgt: Faulstich geht es um einen umfassenden historischen Zugriff auf die multimediale Wirklichkeit der frühen Neuzeit, vor allem auf Relevanz und Funktion der Medien für die sich allmählich ausdifferenzierende frühmoderne Gesellschaft. Hinter diesem Ansatz steht die Vorstellung, Medien seien nicht allein Kanäle technischer Vermittlung, sondern wesentliche Gestaltungsinstrumente, die die sozialen Zusammenhänge, in denen sie "funktionieren", maßgeblich beeinflussen und prägen. Menschliche Kultur ohne Medien ist demnach überhaupt nicht vorstellbar, alle Gesellschaften müssen als "Kultur- und Kommunikations- und Mediengesellschaften" verstanden werden. Dabei geht Faulstich in seiner Untersuchung von einem flexiblen Medienbegriff aus, der der im historischen Prozeß beobachtbaren Veränderbarkeit und Wandlungsfähigkeit von Medien Rechnung zu tragen versucht. Eine Konsequenz dieses Konzeptes ist, daß ein allgemeingültiger und distinkter Begriff "des" Mediums unter diesen Umständen erst mit Abschluß des gesamten Programms einer allgemeinen Medienkulturgeschichte vorliegen kann. Bis dahin muß sich der Leser mit einer begrifflichen Unschärfe abfinden, die das Verständnis der Faulstichschen Argumentation nicht unbedingt erleichtert. So wird hier denn auch die Wahrnehmung sozialer Orientierungs- und Steuerungsfunktionen zum wesentlichen Maßstab, ja zum ausschlaggebenden Test dafür, ob einer Kommunikationstechnologie, einem Wissenspeicher, einem gestalterischen Ausdruck etc. medialer Charakter zugeschrieben werden darf oder nicht. Genau an dieser Stelle gewinnt man allerdings den Eindruck, daß das Pferd, das die Untersuchung tragen soll, von der verkehrten Seite aufgezäumt wird, denn Argumente wie auch Schlüsse, die auf diesem Konstrukt aufgebaut sind, werden den Geruch eines circulus vitiosus nicht ganz los: Wenn das, was als Medium bezeichnet werden kann, genau dadurch definiert und markiert wird, daß es gesellschaftliche Steuerungs- und Orientierungsfunktionen wahrnimmt, kann eines der wesentlichen Ergebnisse Faulstichs, nämlich, daß Medien für die soziale und politische Ordnung von so entscheidender Bedeutung sind, daß Sozialgeschichte ohne Mediengeschichte gar nicht denkbar ist, kaum mehr überraschen.

In diesem Zusammenhang wird auch ein anderes Problem der vorliegenden Untersuchung offensichtlich: Wenn Medien die Kultur einer Gesellschaft entscheidend prägen, dann hat dies auch damit zu tun, daß genau sie es sind, die sozialer Kommunikation ihre Form geben. In der vorliegenden Studie wird leider versäumt, auf den Zusammenhang zwischen Kultur, Medien und Kommunikation näher einzugehen - und eo ipso, ohne genaüre Erklärung erschließt sich diese Korrelation auch nicht. Dies mag vor allem daran liegen, dass Faulstich nicht nur mit einem verschwommenen Medienbegriff operiert, sondern auch den seiner Medienkulturgeschichte zugrundeliegenden Kulturbegriff nicht genauer expliziert. Dadurch wird es z.B. schwierig, nachzuvollziehen, was eigentlich das "Schockierende" oder Irritierende des "Kulturschocks" sein könne, mit dem die Einführung neuer Medien häufig einher geht.

Grundsätzlich unterscheidet Faulstich zwischen Mensch-, Gestaltungs-, Schreib- und Druckmedien, erwähnt werden daneben auch elektronische und digitale Medien, die hier freilich noch keine weitere Berücksichtigung finden. Faulstich diagnostiziert in den verschiedenen "Domänen gesellschaftlichen Wandels" neben der Modifikation der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse jeweils auch Veränderungen hinsichtlich Bedeutung und gesellschaftlicher Funktion traditioneller und neür Medien, sowie ihrer Beziehungen untereinander. So verlieren während der Renaissance viele traditionelle Menschmedien ihren medialen Charakter, Gestaltungsmedien entwickeln sich dagegen zur individuellen Kunst.

In der städtischen Gesellschaft vollzieht sich der Wandel der Medienkultur auf verschiedensten Ebenen: Menschmedien werden zu Berufsrollen, es entstehen zahlreiche Medienverbundformen, die den traditionellen Menschmedien Schreib- respective die neuen Druckmedien zuordnen, und das kulturelle Gewicht verlagert sich insgesamt auf die Printmedien. Der Wandel städtischer Medienkultur wird als Funktionswandel beschrieben, der zunächst auf einem Mediendefizit beruht: traditionelle Medien verlieren in der Stadt ganz allmählich ihre Steuerungs- und Orientierungsfunktion und dieses Vakuum wird in einem weichen Ablösungsprozeß, d.h. zunächst im Neben- vor allem aber im Miteinander alter und neuer Medien gefüllt.

Im Gegensatz dazu findet im 15. Jahrhundert auf dem Land eine "echte Ausweitung der Medienkultur" durch Printmedien statt: Hier erweist sich der Kalender als dominantes Medium - auch gegenüber dem multifunktionalen, durch Bild-Text-Verknüpfungen sehr anschaulichen Flugblatt.

Während des 30jährigen Krieges wird insbesondere das Flugblatt intensiv als Propagandainstrument genutzt, das die vielen Teilöffentlichkeiten ganz allmählich zu Vorformen einer übergreifenden gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit ausweitet und insofern zu den Vorläufern des Mediums Zeitung zu zählen ist. Hier zeigt sich, was die medienkulturhistorische Perspektive zu leisten imstande ist. Denn es wird sehr klar herausgearbeitet, daß die publizistische Bedeutung des Flugblattes während des 30jährigen Krieges nicht - wie häufig vermutet - auf die neuen Möglichkeiten der Drucktechnik zurückzuführen ist, sondern daß in Konfliktsituation auf das Medium gerade wegen seiner Steuerungs- und Orientierungsfunktion zurückgegriffen wird.

Im Absolutismus werden die traditionellen Gestaltungs- und Menschmedien zu einem "gigantischen neuen handlungsmedialen Verbund" zusammengeführt. Alle Medien kulminieren im höfischen Fest, das wiederum zum Medium des Handlungsmediums Macht wird.

Im 17. Jahrhundert beginnt mit der Entstehung der Zeitung ein "neues Medienzeitalter". Ihre typischen Eigenschaften - Periodizität, Aktualität, Universalität und Publizität - übernimmt die Zeitung in einem funktionssynkretistischen Prozeß, der von Faulstich als völlig neue Form des Wandels herausgehoben wird, von ihren medienkulturhistorischen Vorläufern Prediger, Brief, Sänger und Flugblatt. Durch dieses neue Medium entsteht eine neue Form von Öffentlichkeit, die sich von den Teilöffentlichkeiten des Mittelalters deutlich unterscheidet. In letzter Konsequenz trage sie - so Faulstich - zu einem grundsätzlich veränderten Verständnis von Herrschaftslegitimation bei, da sich die Träger der Macht im Falle der Konfrontation mit der öffentlichen Meinung nunmehr genötigt sehen, ebenfalls öffentlich zu reagieren. In welchem Verhältnis Öffentlichkeit und Herrschaftslegitimation allerdings demnach stehen, wird leider nicht ausgeführt. Faulstich geht nicht weiter auf die grundsätzlichen Konsequenzen dieser neuen Form von Öffentlichkeit für die politische Praxis ein. So bleibt es letztlich ungewiß, wie und was seitens der Herrschenden überhaupt öffentlich gemacht werden muß: Handelt es sich dabei um grundsätzliche Verfahren zur Konsens- und Entscheidungsfindung oder geht es um die Präsentation von Entscheidungen im Sinne ritueller Inszenierungen?

Den besonderen Anspruch, den Faulstich mit seiner Medienkulturgeschichte verfolgt, aber auch die hier virulenten Probleme kann man sehr anschaulich an seinen Ausführungen zu Reformation und Gegenreformation verfolgen: Unter der medienhistorischen Perspektive müsse - so Faulstich - "das bisherige Erklärungsraster für den Erfolg Luthers und der Reformation zu einem erheblichen Teil modifiziert werden". Die Kritik Luthers an den Strukturen der alten Kirche wird interpretiert als Kritik an der Herrschaftsfunktion traditioneller Menschmedien. Faulstich arbeitet sieben Medien der Reformation heraus: 1) Der Prediger, der im integrativen Verbund mit den Druckmedien, v.a. dem gedruckten Buch zu einer Refunktionalisierung als Medium gelangt und so das Vakuum, das der Prediger alten Stils nach Verlust seiner medialen Funktionen hinterläßt, füllt; 2) Der Brief, dessen sich die reformatorische Bewegung als Waffe bedient; 3) das "Massenmedium Flugblatt" mit seiner persuasiven und polarisierenden Wirkung, das auf unterschiedlichste Art genutzt und inhaltlich gefüllt werden kann; 4) die mit der Flugschrift gegebene Zwischenform zwischen Blatt und Buch, die einen neün Typ nicht mehr lokal begrenzter Öffentlichkeit schafft und eine "neuartige Verknüpfung eines Printspeichermediums, eines Predigttypes und des Rundbriefes" darstellt; 5) das Buch, dessen Bedeutung - so Faulstich - häufig überschätzt werde, weil "Flugschriften und andere Druckmedien kurzerhand ebenfalls als "Bücher" behandelt werden" und schließlich noch 6) der Sänger und 7) das reformatorische Theater.

Faulstich kommt zu dem Schluß, daß die "Brisanz der Lutherischen Reformation im Kern nicht theologischer oder religiöser, sondern mediengeschichtlicher Natur und erst deshalb politisch" sei. Genau hier scheinen aber gewisse Inkonsistenzen in der Argumentation vorzuliegen, denn anderseits wird argumentiert, daß der revolutionäre Akt gerade nicht mit der Nutzung der neuen Printmedien oder der Gestaltung eines neuartigen Medienverbundes seitens der Reformatoren gegeben sei sondern sich darin finde, daß es aufgrund der Zerschlagung der "alten sakramentalen Menschmedien" durch Luther überhaupt zu einem medialen Vakuum kommt, das v.a. die neun Printmedien auffüllen. So wird die Medienrevolution letztlich doch primär auf den Kern der lutherischen Theologie, vor allem auf die Vorstellung einer allgemeinen Priesterschaft aller Gläubigen zurückgeführt: technische Innovationen, soziale Differenzen und religiöse Krisen spielen nur insofern eine Rolle, als sie von Luther aufgegriffen und theologisch verarbeitet werden, medienhistorische Konsequenzen erscheinen letztendlich als bloße Folge lutherischen Denkens. Hinzu kommt, daß Faulstich andererseits die These vertritt, daß die wichtigste Leistung der Reformation "die Schaffung einer sowohl umfassend und differenziert wie auch gleichförmig informierten Anhängerschaft" gewesen sei, was wiederum zweifelsohne genau auf den Gebrauch neuer Medien und Medienverbünde zurückzuführen ist.

Hier sind Argumentationsdefizite auszumachen, die auch im folgenden nicht aufgelöst werden können. Und dies scheint genau auf ein wesentliches Problem des Buches zu verweisen. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, daß nicht allein versucht wird, eine allgemeine Medienkulturgeschichte zu schreiben, was schon schwierig genug sein dürfte: Das Beispiel, wie Faulstich mit dem Thema "Reformation" verfährt, deutet darauf hin, daß hier anscheinend die gesamte Historiographie auf das neue medienhistorische Paradigma gehievt werden soll. Dies zeigt sich auch in der Bilanz, die Faulstich auf den letzten Seiten seines Buches zieht: Die Krise des späten Mittelalters wird da allein auf eine Krise der traditionellen Menschmedien reduziert, sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Zusammenhängen wird hier nur eine nachgeordnete Bedeutung zugeschrieben.

An dieser Stelle soll nicht die Tatsache kritisiert werden, daß Faulstich sich die medienhistorische Perspektive zu eigen gemacht hat. Im Gegenteil: Die Untersuchung kann die Diskussionen innerhalb der Geschichtswissenschaft mit Sicherheit in vielerlei Hinsicht beleben. Problematisch erscheint aber tatsächlich, daß im vorliegenden Band diese Sicht der Dinge andere Anknüpfungspunkte fast völlig überdeckt und nicht mehr zur Geltung kommen läßt.

Titelbild

Werner Faulstich: Medien und Öffentlichkeit im Mittelalter 800 - 1400.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996.
298 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3525207867

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Titelbild

Werner Faulstich: Das Medium als Kult. Von den Anfängen bis zu Spätantike (8. Jahrhundert).
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997.
327 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3525207859

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Titelbild

Werner Faulstich: Medien zwischen Herrschaft und Revolte. Die Medienkultur der frühen Neuzeit (1400 - 1700).
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998.
341 Seiten, 42,90 EUR.
ISBN-10: 3525207875

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