Garantiert politisch unkorrekt

Ernst Jüngers politische Publizistik aus den Jahren 1919 bis 1933

Von Gunther NickelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunther Nickel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die einen ist ausgemacht: Ernst Jünger war ein Faschist. Und damit hat sich sein ,Fall' für sie dann auch schon erledigt. Andere betonen demgegenüber seine ohne jeden Zweifel kritische, ja oppositionelle Haltung gegenüber dem NS-Regime. Der Heidelberger Germanist Helmuth Kiesel verstieg sich 1995, aus Anlass des 100. Geburtstages, sogar zu der Behauptung, Jünger habe sich "mit dem Nationalsozialismus zu keinem Zeitpunkt eingelassen".

Natürlich war diese Feststellung nicht nur schönfärberisch, sondern falsch. Schließlich hat Jünger 1925 mit Blick auf die NSDAP erklärt: "Wir haben als Anhänger den politischen Aufstieg dieser Partei erlebt, wir waren in den Novembertagen begeistert dabei, und wir haben den Fehlschlag für einen unerklärlichen Irrtum der Geschichte gehalten." Das lässt an Deutlichkeit wohl nichts zu wünschen übrig. Und dennoch liegen die Dinge hier nicht ganz so einfach wie manche glauben.

Viele, die über Jüngers politische Ansichten urteilten, hatten seine publizistischen Arbeiten aus den Jahren von 1919 bis 1933 nie gelesen, sondern bedienten sich kursierender, aus dem Zusammenhang gerissener Zitate. Verstreut und zum Teil an abgelegener Stelle gedruckt, war es allerdings auch äußerst aufwendig, sich die Texte zu beschaffen. Daher macht der Verlag Klett-Cotta jetzt endlich das einzig Richtige: Ohne den Versuch, etwas zu beschönigen, zu kaschieren oder gar zu verheimlichen veröffentlicht er diesen Teil des Jünger'schen Œuvres vollständig und mit einem schlichten, sachlichen Kommentar. Er wartet dabei auch mit einer ganzen Reihe von Texten auf, die in der letzten Auflage der Jünger-Bibliographie von Horst Mühleisen aus dem Jahr 1996 noch nicht verzeichnet sind.

Nach der Lektüre des fast 900 Seiten umfassenden Bandes kann wirklich nicht mehr der geringste Zweifel bestehen: Jünger hat Mitte der zwanziger Jahre eindeutig für die Politik der Nationalsozialisten votiert. Erst (oder muss man besser sagen: schon?) 1929 war es damit aber vorbei. Warum? Nicht etwa, weil ihm Sprache und Begründungsniveau der NS-Gazetten zuwider waren. Auch nicht, weil ihn das Krakelen Hitlers plötzlich zu stören begonnen hätte. Er lehnte vielmehr dessen Legalitätskurs ab. Für Jünger war nur ein radikaler, fundamentalistischer Antiparlamentarismus akzeptabel, einer, der auf jede taktische Konzession verzichtete. Daher polemisierte er gegen den selbsternannten "Führer", als er sich 1929 von einer Serie mit Sprengstoffattentaten der schleswig-holsteinischen Landvolkbewegung distanzierte. Goebbels erklärte daraufhin, Jünger ist "für uns erledigt". Das beruhte von nun an auf Gegenseitigkeit. Ohnehin hat Jünger den rassistischen Antisemitismus und damit einen zentralen Bestandteil der NS-Ideologie nie für eine "Fragestellung wesentlicher Art" gehalten, ihn einmal ausdrücklich als "Unfug" bezeichnet.

Genese und Motive für solche Fraktionierungen innerhalb der rechtsextremen Szene in der Endphase der Weimarer Republik lassen sich in diesem Sammelband mit Jüngers politischer Publizistik vorzüglich studieren. Er zeigt darüber hinaus, wie töricht es wäre, Jünger als "Reaktionär" zu bezeichnen. Tatsächlich war er in den zwanziger Jahren nicht weniger revolutionär als die Anhänger der radikalen "Linken". Wie sie lehnte er den Kapitalismus ab. Passagenweise hätten seine politischen Kommentare problemlos in die Spalten der kommunistischen "Roten Fahne" eingerückt werden können. "Es bedeutet keine Aufgabe", dekretierte er etwa, "bei den Schutzgarden der Bourgeoisie zu stehen und sich mit den abgespielten Melodien eines vergangenen Jahrhunderts vertrösten zu lassen."

Auch Jüngers Visionen von einem Zukunftsstaat waren keineswegs rückwärtsgewandt und darüber hinaus weit entfernt vom "Blut-und-Boden"-Geraune: Entschieden plädierte er für die konsequente Technisierung aller Lebensbereiche. "Wie will sich", fragte er, "der Handwerker auf die Dauer gegen die Maschine wehren?" "Er muß sich", lautete seine Antwort, "zu ihr bekehren oder untergehen."

Es gelangen Jünger sogar ideologiekritische Analysen, denen man gerade in diesen Tagen Aktualität kaum absprechen kann. So werde, stellte er fest, in den westlichen Demokratien Krieg zwar als etwas grundsätzlich Unsittliches abgelehnt. In Krisensituationen machte das aber stets aufs Neue eine in seinen Augen verlogene propagandistische Anstrengung nötig: Man sehe sich gezwungen, "die eigenen Werte so anzupreisen und die des Gegners so herunterzureißen, daß selbst dem ausgekochten Pazifisten der Krieg als das kleinere Übel erscheint". Für diese Art Dialektik hatte er nur Hohn und Spott übrig - und die Empfehlung, den Krieg als eine nicht wirklich vermeidbare Realität im menschlichen Zusammenleben anzuerkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Jüngers politische Publizistik dürfte sowohl bei seinen Apologeten als auch seinen Kritikern für erhebliche Irritationen sorgen. Die kommentierte Edition durch den Bonner Politikwissenschaftler Sven Olaf Berggötz liefert damit, was man von der dann in vieler Hinsicht enttäuschenden Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt erwartet hatte: Zündstoff. Das scheint dem Herausgeber am Ende seiner Arbeit nicht nur bewusst, sondern auch unbehaglich geworden zu sein. Daher versucht er in seinem sonst instruktiven Nachwort, einen "eigentlichen" (den literarischen) und einen "uneigentlichen" (den politischen) Ernst Jünger zu unterscheiden. Ein, wie man leider sagen muss, ziemlich unbeholfenes Unterfangen. Allein die "Stahlgewitter", mit deren Vorwort in der Fassung von 1919 der Sammelband beginnt, sind ein Paradebeispiel für Jüngers literarisierende Stilisierung des Kriegserlebnisses, das noch dazu durch die Lektüre der Romane Karl Mays entscheidend geprägt war. Und in den zwanziger Jahren nehmen auch Jüngers politische Stellungnahmen nicht von ungefähr immer wieder ihren Ausgang von literarischen Texten, seien es die "Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" oder Romane Arnolt Bronnens, Cervantes "Don Quijote" oder Kubins "Die andere Seite".

In einem Text über die Spiegelung des Ersten Weltkriegs in der Gegenwartsdichtung zitiert Jünger den Spätaufklärer Johann Gottfried Seume, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil auch er ein politisch denkender Schriftsteller mit militärischer Erfahrung war. An Bezugnahmen dieser Art, die zahlreich sind, zeigt sich, wie wenig sinnvoll die rigide Trennung in ein literarisches und ein politisches Werk ist. Leider hat der Herausgeber die Passage über Seume nicht kommentiert, ja Seumes Name fand noch nicht einmal Eingang ins Personenregister. Ebenso entging ihm, dass die Wendung von der "Herrschaft der Minderwertigen" keine Formulierung Jüngers, sondern eine Anleihe bei dem nationalrevolutionären Publizisten Edgar Julius Jung darstellt. Ein vor allem deshalb bedauerlicher Lapsus, weil Jüngers Beschäftigung mit Jung besondere Aufmerksamkeit verdient. Denn auch Jung wurde zu Beginn der dreißiger Jahre ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, weshalb ihn Hitler 1934 während des sogenannten Röhm-Putsches ermorden ließ.

Am Ende bleibt es bei diesen und wenigen anderen Schönheitsfehlern. Sie tun der Tatsache keinen Abbruch, dass Berggötz mit dieser Edition in nur knapp zwei Jahren Arbeitszeit ein Standardwerk der Jünger-Forschung vorgelegt hat. Jeder, der sich in Zukunft mit diesem Autor ernsthaft auseinandersetzen will, wird nicht umhin kommen, es gründlich zu studieren.

Titelbild

Ernst Jünger: Politische Publizistik. 1919-1933.
Herausgegeben von Sven Olaf Berggötz.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001.
900 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3608935509

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