Auf der Flucht

"Das siebte Kreuz" von Anna Seghers wird als Teil einer Werksausgabe neu ediert

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das siebte Kreuz", eine Fluchtgeschichte im Deutschland des Jahres 1937: Georg Heisler flieht mit einer Gruppe von sechs weiteren Gefangenen aus dem KZ Westhofen, muss sich dann allein durchschlagen, sucht und findet Hilfe, auch dort, wo er sie nicht vermutet hatte, gelangt zum Schiff nach Holland, zur Freiheit.

Erzählt wird diese Geschichte von einer Frau, die sich 1938, als sie das Buch zu schreiben beginnt, schon nicht mehr in Deutschland aufhält, selbst auf der Flucht gewesen ist, nun im Exil in Frankreich lebt, bald wieder wird flüchten müssen. Auch die Geschichte des Manuskripts ist eine wechselvolle. Diverse Fassungen gehen verloren oder müssen aufgrund einer weiteren Flucht zurückgelassen, verbrannt werden; schließlich taucht ein Exemplar wieder auf, das als Grundlage der amerikanischen Übersetzung von 1942 genutzt wird.

"Ob sieben Menschen die Freiheit gewinnen oder zu Tode gemartert werden, wen dürfte das kalt lassen?", fragte Paul Meyer schon 1942 in seiner Rezension zu "Das siebte Kreuz", wie uns der Anhang von Bernhard Spies informiert. Doch es ist nicht lediglich die Geschichte von Georg Heislers Flucht, die weiterlesen lässt, Seite für Seite, Episode um Episode. Oder ist es die Flucht, sind es die Gedanken, die seine Freunde wie die Feinde, Helfer und Häscher teilen: "Geht es ihm gut? Wo ist er? Wird er durchkommen? Wer versteckt ihn, kümmert sich jetzt um ihn?" Zwar hofft man mit den Freunden, hofft gegen die Verfolger, die ihm auf den Fersen sind, doch man liest, weil man eingenommen ist vom Geflecht des Textes.

So gut wie jede der Personen, die Georg trifft, und auch jene, die er nicht aufsucht, die, die zu Hause auf ihn warten, die hoffen, dass er kommt, damit man ihm helfen oder ihn gefangen nehmen kann, die hoffen, dass er wegbleibt, damit man ihn nicht findet oder damit er einen nicht in Schwierigkeiten bringt, all jene Personen müssen sich entscheiden, müssen abwägen. Was ist wichtiger? Das eigene Leben? Die Idee, das Ideal? Die Menschlichkeit, die Christlichkeit? Oder das Reich? Der Beruf? Manchmal findet diese Entscheidung im Kleinen statt, wie wenn die junge Frau vor dem Dom dem offensichtlich Kraftlosen ein Geldstück zusteckt, verbotenerweise und gleich zur Ordnung gerufen von ihrer Nachbarin. Manchmal ist es eine größere Entscheidung, setzt das Leben aufs Spiel, die Zukunft der ganzen Familie. Und immer wieder scheint auch der Leser aufgerufen zu entscheiden. Was würdest du tun? Was wäre dir mehr wert? Wohin würdest du gehen?

Das Kunststück, das die Autorin dabei vollbringt, ist scheinbar in die Köpfe der Protagonisten hineinzuschauen. Durch einfühlsame Schilderungen ihrer Gedankengänge und Ängste wird deren Situation anschaulich gemacht. Ein teilnahmsloses Lesen wird dadurch nahezu unmöglich, ein Mitfiebern, Mitleiden fast erzwungen. Der Roman macht es einem nicht einfach. Das Lesen nicht und das Verurteilen schon gar nicht. Anna Seghers schildert die verzweifelte Lage unter dem Regime erschütternd plastisch. Und sie macht deutlich, dass Unterdrückung auch und vielleicht vor allem im Kopf stattfindet, in den eigenen Gedanken. Nur wer dort frei bleibt, kann auch frei handeln. Und nur der kann auch Hoffnung haben.

Ein Bild zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman - das der Äpfel. Blüte, Frucht, Ernte. Ein niemals endender Kreislauf wie die Geschichte, der dennoch Hoffnung bringt - auf ein Morgen, einen neuen Anfang. Das schönste Bild des Romans ist das eines Mädchens, das einen von der Ernte übrig gebliebenen Apfel in den Zweigen eines Baumes entdeckt:

"Zuerst sah das Kind nur den Stamm, es zog seinen Finger durch die Riefen. Dann legt es seinen Kopf zurück. Die Äste drehen und winden sich und bohren sich mächtig in die Luft, und doch steht das ganze Geäst still. Auch das Kind steht still. Die Blätter, die jetzt von unten schwarz aussehen, bewegen sich alle unaufhörlich ein wenig, und durch die Lücken scheint der Abendhimmel. Ein einziger schräger Sonnenstrahl schießt durch das Geäst und trifft genau etwas Goldenes, Rundes."

Selbst inmitten all der Dunkelheit etwas Helles. In allem Elend doch auch das Gute im Menschen. Für mich die Botschaft des Buches. Falls es so etwas gibt.

Titelbild

Anna Seghers: Das siebte Kreuz. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2000.
504 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3351034547

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