Acht Geschichten aus dem Krieg

Tom Lamperts Buch "Ein einziges Leben"

Von Yvonne BachmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvonne Bachmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Unternehmung 'Hornung' (Februar 1943) Feindverluste: Banditen: 2.219, Bandenverdächtige: 7378, Gefangene: 65, erschossene Juden: 3.300. Eigene Verluste: (Deutsche) Tote: 2 Verwundete: 12."

Unglaubliche Relationen. Drei Juden flüchten aus einem Sonderghetto, am Tag darauf bestimmt der SS-Oberführer, dass 300 andere Juden als Vergeltungsmaßnahme für die Flucht erschossen werden. Unglaubliche Maßnahmen.

"B. schätzt Anfang Januar 1942, rund 41.000 weißruthenische Juden seien erschossen worden. Nicht berücksichtigt in dieser Zahl: die von früheren Einsatzkommandos erschossenen Juden und die ungefähr 19.000 durch die Wehrmacht als Partisanen und Verbrecher Erschossenen. Die endgültige und grundlegende Bereinigung der Judenfrage stößt aber auf erhebliche Hindernisse." Unglaubliche Worte.

Acht Geschichten aus der NS-Zeit, unglaublich und doch wahr. Acht Menschenleben, die den Krieg miterlebt, teilweise nicht überlebt haben, werden in Tom Lamperts Buch beleuchtet. Beide Seiten werden in diesen Biografien gezeigt, wie etwa die Geschichte von Mirijam P., einem jungen jüdischen Mädchen. Schwer erziehbar, aber in der Lage, jede noch so problematische Situation ihres schwierigen Lebens zu meistern. Lampert zeigt jede Station ihres Lebens auf, der Leser nimmt an allem teil, die Figur wird zu einer imaginären Freundin. Ohne jegliche Bemühungen des Autors entwickelt der Leser Sympathien für die Jüdin, ist bei jeder Station ihrer Reise anwesend. Doch dann das ernüchternde, unverhoffte Ende. Auch das clevere Mädchen kann den Maßnahmen der Nazis nicht entgehen. In einer Euthanasie-Anstalt verliert sich ihre Spur.

Oder Wilhelm K., der auf der anderen, auf der "bösen" Seite steht. In Weißrussland unterstehen ihm tausende von Juden. Doch als Juden aus Deutschland in Minsk eintreffen, ändert sich seine Haltung, zumindest ihnen gegenüber. Mit aller Macht versucht er, die Lebensbedingungen für "seine" deutschen Juden zu verbessern, macht sich dabei auch Feinde. Im Endeffekt kann er einem einzigen der Juden das Leben retten, bevor er selbst Opfer eines Attentats wird.

Dieser Jude ist der Protagonist in Lamperts dritter Geschichte. Er verknüpft also zwei Biografien, um das damalige Geschehen noch verständlicher zu machen. Dr. Karl L., jener gerettete Jude aus Minsk, wird in ein Lager nach Theresienstadt abgeschoben, wo er einen Posten in der Selbstverwaltung erhält. Seine Intelligenz und sein Ordnungssinn lassen ihn trotz seiner jüdischen Abstammung schnell zu einer geachteten Person werden. Doch sein Stolz und sein Gerechtigkeitssinn stehen ihm immer wieder im Weg und sorgen für Konflikte. Karl L. überlebt den Krieg, doch damit ist sein Kampf noch nicht vorbei. Lampert beschreibt auch die Probleme danach - den aussichtslosen Kampf um die Besitztümer, die L. während des Krieges genommen wurden, und den Versuch, für die physischen und seelischen Qualen eine "angemessene" Entschädigung zu bekommen.

Auch die Geschichte Erich B.'s, der sein ganzes Leben lang nichts anderes im Sinn hatte, als für sein Land in den Krieg zu ziehen, die Städte und Dörfer zu "reinigen", der aber auf der anderen Seite ein liebevoller Familienvater war, wird ausführlich geschildert.

Zwischen diesen Geschichten kommen auch kurze Ausschnitte aus verschiedenen Biografien in Lamperts Buch vor. Von einem Mann, der wegen einer verbotenen Parole zum Tode verurteilt werden soll, von einer Jüdin, die sich aus Angst für den Freitod entscheidet, und sogar von einem Hund mit scheinbar nationalistischen Neigungen.

Tom Lamperts Buch ist kein Roman, es ist kein Sachbuch. Es ist eine gelungene Mischung aus beidem, und wie er in seinem Nachwort erklärt - eine gewollte Mischung, mit der er bezweckt, dass sich der Inhalt der Geschichten in den Köpfen der Leser festsetzt. Diese sollen nicht nur lesen, sondern das Ganze verstehen, nachvollziehen, nachdenken. Lampert setzt mit seinem unparteiischen Stil auf die Meinungsbildung des Lesers. Die Geschichten sind ohne jegliche persönliche Sicht geschrieben, kein Name wird mehr als einmal ganz erwähnt, nach Beginn der Geschichte werden nur noch die Initialen der handelnden Personen verwendet.

Lampert hat für dieses Buch viel und genau recherchiert. In einem sechzig Seiten umfassenden Anhang ist jede benutzte Quelle aufgelistet. Für seine Forschungen wendete sich der Autor an Institute, Archive und Behörden in den Vereinigten Staaten, in Israel, Deutschland, Polen, Tschechien, der Schweiz und den Niederlanden. Jede Geschichte ist in einzelne Kapitel untergliedert, für deren Titel Lampert größtenteils Original-Passagen aus Akten über die jeweilige Person verwendet. Obwohl die Protagonisten der acht Geschichten weitestgehend unbekannt sind, ist es Lampert gelungen, die Leben dieser Personen fast vollständig zu rekonstruieren. Von der Kindheit bis zum Tode begleitet der Leser die Hauptpersonen.

Titelbild

Tom Lampert: Ein einziges Leben. Acht Geschichten aus dem Krieg.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
320 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3446200754

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