Von Luftschlössern und Goldgräbern

Einar Kárason erzählt weiter vom Aufstieg und Fall der Killian-Familie

Von Jan ChristophersenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Christophersen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sind schöne Zeiten auf Island, die Wirtschaftswunderjahre. Alles scheint möglich, wenn man sich nur geschickt genug anstellt. Eine neue Generation ist im Heranwachsen, die vielversprechende Anlagen mitbringt. Auch leben die Killians nicht mehr draußen auf Laekjarbakki nahe der Goldgrube zwischen den Autoersatzteilen, die der Senior einst zusammengetragen hat. Mitsamt dem Schrotthandel sind sie nach Reykjavík gezogen, wo sie sich erst richtig zu entfalten beginnen. Einen leibhaftigen Bankdirektor können sie in ihren Reihen vorweisen, einen Nervenarzt, eine angehende Stadträtin. Alles ist auf dem Weg nach oben, "kein Grund denkbar, etwas anderes anzunehmen, als dass das meiste glücken und sich fügen wird". Doch da verstirbt eines Tages die Ahnfrau Solveíg Árnadóttir Killian und alle Bürgerlichkeit bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Allerdings war das bei dieser Familie letztlich auch nicht anders zu erwarten, die, wer wollte, bereits in dem Vorläuferband "Törichter Männer Rat" kennen lernen konnte. Schon darin befinden sich die verschiedenen Familienmitglieder auf der verzweifelten Suche nach Ruhm und Ehre, die sie in "Die isländische Mafia" stoisch weiterverfolgen. Davon lassen sie sich durch keinen Rückschlag auf lange Zeit abbringen. An Hindernissen mangelt es nie, aber das unausgesprochene Ziel, eine angesehene und geachtete Familie der isländischen Gesellschaft zu werden, bleibt ungebrochen erhalten. Es ist der eigentliche Antrieb für die Unternehmungen, die sie in Angriff nehmen, sei es nun der Bau eines Ferienhauses irgendwo draußen auf dem Lande oder aber die Gründung eines Sputnikunternehmens für die Insel. Da darf man sich von gelegentlichen Fehltritten und Verlusten natürlich nicht unnötig aufhalten lassen.

Einar Kárason ist über die Grenzen Islands hinaus für seine Romane bekannt, in denen es teilweise recht derbe zugeht. Einen Vollbluterzähler hat man ihn deshalb genannt, einen "isländischen John Irving", was insofern stimmt, als es vor allem die kleinen Geschichten und Anekdoten sind, die ihn interessieren, und nicht so sehr der große, alles zusammenhaltende epische Faden. Außerdem zeichnet ihn ein gestärkter Sinn für die Skurrilitäten des Alltags aus, die er genussvoll vor den Augen des Lesers ausbreitet. Das verspricht stets eine gehörige Portion Lesevergnügen. Doch nach einiger Zeit bemerkt man schließlich, dass Kárason wie nebenbei und auf seine Art eine ganze Generation, der rückblickend alles gelungen zu sein scheint, unter die Lupe genommen und die Kehrseite der Medaille aufgespürt hat.

Dieser Drahtseilakt eben, einerseits den Anschein der Wohlanständigkeit zu wahren und im Ansehen der anderen zu wachsen, andererseits jedoch auf nicht immer ganz seriöse Mittel zurückgreifen zu müssen, damit dieses hehre Ziel erreicht wird, führt zu einer entsprechenden Fallhöhe, falls es danebengeht. Und die Killians fallen tief. Ausgerechnet beim Stolz der Familie, beim Bankdirektor Vilhjálmur, werden unlautere Machenschaften mit dem Vermögen der Bank aufgedeckt. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, eine Gefängnisstrafe wird verhängt. Doch das ist erst der Anfang von allem. Denn nun geraten die Angehörigen ins Blickfeld, und was man bei denen zutage fördert, hätte wohl niemand erwartet. Der angeheiratete Pfarrer Sigvaldi etwa, der mittlerweile einen Kiosk betreibt, ist doch tatsächlich im internationalen Drogenhandel tätig, und irgendwann verschwindet der Ersatzteildirektor Sigfús Killian spurlos. Der Verdacht fällt auf Mitglieder der Familie zurück. Die Zeitungen geben verständlicherweise keine Ruhe, suchen nach weiteren Verfehlungen, die dem Killian-Clan angelastet werden können, und sie werden fündig. "Es wurde wirklich langsam unerträglich, Killian zu heißen", bekennt der junge Erzähler freimütig.

Abschreiben muss und kann man die Killians deshalb noch lange nicht, denn Einzelne geben trotz aller Häme nicht auf. So hängt Baldur, Inhaber des Sputnikunternehmens, sein Herz an ein Abenteuer, das er mit einigen Freunden betreibt. In einer Bucht im Süden der Insel graben sie nach dem einstmals dort gesunkenen Schiff "Het Wapen van Amsterdam", dessen Ladung aus dreiundvierzig Tonnen Gold und manchem mehr bestanden haben soll. Man darf durchaus einen Tipp abgeben, wie dieser Versuch wohl ausgehen wird. Doch selbst wenn am Ende das meiste irgendwie danebengegangen sein wird, Baldurs Resümee über sich und die Seinen fällt milde aus: "Man hat zwar verdammt viel durchgemacht, aber wenn man etwas darüber nachdenkt, dann war unser Heim doch gesegnet, wie man es sich nur wünschen kann, obwohl man damals vielleicht nie so darüber gedacht hat. Oder?"

Titelbild

Einar Kárason: Die isländische Mafia. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Maria Claudia Tomany.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
304 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3552051651

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