Aufklärung über Philosophen der Aufklärung

Judenfeindschaft bei Kant, Fries, Knigge und Maimon

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Philosophen der Aufklärung postulierten die uneingeschränkte Gleichheit der Menschen, da sie von der Annahme ausgingen, dass alle gleichermaßen vernunftbegabt seien. Diese Auffassung bewirkte - zumindest theoretisch - einen Wandel der allgemeinen Einstellung gegenüber den Juden. Doch wie ernst meinten es die Philosophen wirklich mit der Befreiung der Juden aus der von ihnen nicht verschuldeten Diskriminierung? Haben sie deren Kampf um die Gleichberechtigung als Menschen, Bürger und Religionsgemeinschaft tatkräftig unterstützt? Erst kürzlich förderte Micha Brumlik in seiner Studie "Deutscher Geist und Judenhass" Einstellungen, Äußerungen und Überzeugungen deutscher Denker zu Tage, die dem Geist der Aufklärung eklatant widersprechen und die man als judenfeindlich bezeichnen muss.

Wie aber haben die einzelnen Philosophen ihre antisemitischen und antijudaistischen Positionen begründet? Welche sozialen, kulturellen und politisch-ökonomischen Faktoren haben diese begünstigt? Wie konnte es zu den aus heutiger Sicht frappierend antiaufklärerischen Einstellungen des Antisemitismus und Antijudaismus im Denken Kants und anderer Aufklärer kommen? Liegen sie in ihrem aufklärerischen Denken, in ihrer Vernunftauffassung selbst beschlossen oder sind sie primär den historischen Verhältnissen und anderen Einflüssen anzulasten?

Diese Fragen waren Inhalt des wissenschaftlichen Preisausschreibens, das die Philosophische-Politische Akademie (PPA) 1997 unter der Überschrift "Antisemitische und antijudaistische Motive bei Denkern der Aufklärung" veranstaltete. Vier prämierte Aufsätze liegen inzwischen gedruckt vor, in denen antisemitische und antijudaistische Motive in den Werken von Immanuel Kant, Jacob Friedrich Fries, Adolph Freiherr Knigge und Salomon Maimon genau analysiert werden.

Die erste Preisträgerin Bettina Stangneth untersucht Kants Verhältnis zum Judentum und listet alle Aussagen auf, die in seinem Werk über das Judentum "schwarz auf weiß" zu finden sind. Kant (1724-1804) charakterisierte das Judentum als "Nation der Betrüger" und sagte Juden "Wuchergeist" nach. Zudem behauptete er, dass sie reicher seien als Angehörige anderer Nationen und das Vertrauen missbrauchten, das ihnen der Staat schenkt, "unter dem sie Schutz finden". Den jüdischen Glauben hielt er für Aberglauben. Doch habe Kant, schreibt die Preisträgerin, nicht den geringsten Versuch unternommen, seine Ansichten zu begründen. Er sei auf dem Niveau des bloßen Klischees geblieben. Bettina Stangneth überlegt ferner, ob der Weg von Kant, wie Joshua Halberstam vor einigen Jahren behauptete, tatsächlich nach Auschwitz geführt habe? Immerhin haben sich viele Nazis auf den Kategorischen Imperativ berufen, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Die Autorin legt jedoch überzeugend dar, dass diese Annahme irrig ist, da Kants antisemitische Äußerungen weniger in seinem aufklärerischen Vernunftverständnis als in "tiefsitzenden, sozialisatorisch erworbenen" Vorurteilen begründet sind. Seine antisemitischen und antijudaistischen Motive seien nicht so sehr im Zentrum seines Aufklärungsdenkens zu verorten, sondern beruhten größtenteils auf Gedankenlosigkeit. Mit Ausnahme seines Antijudaismus, verstanden als ein dem Antichristianismus gleichgestellter Antiklerikalismus, blieben, so Bettina Stangneth, alle judenfeindlichen Motive bei Kant äußerlich. Er habe achtlos vor sich hingeredet, ohne sich über mögliche Missverständnisse oder sogar Wirkungen Rechenschaft abzulegen - zweifellos eine Haltung, die mit einem kritischen Geist nicht zu vereinbaren ist. Kants judenfeindlichen Äußerungen sind somit gerade dem geschuldet, was er so vehement zu bekämpfen suchte, nämlich der Unachtsamkeit und ihrem unbemerkten Einfluss auf die eigenen Überzeugungen. Kant müsste es selbst am besten gewusst haben, dass Gedankenlosigkeit die Wurzel von Unmündigkeit ist, dass sie nicht nur dem Ideal des aufgeklärten Menschen widerspricht, sondern auch alle moralische Urteilskraft außer Kraft setzt.

Kant habe, meint der zweite Preisträger Gerald Hubmann in seinem Beitrag über den Kantianer Jakob Friedrich Fries (1773-1843), den aufklärerischen Begriff der Vernunftreligion so paradigmatisch gedacht, dass sein moralphilosophisch-universalistischer Maßstab in seiner Konsequenz den Eigenwert des Judentums als Religion destruiert habe. Aber nicht nur Kant, auch andere Denker des deutschen Idealismus hätten mit dazu beigetragen, dass das Judentum fortan als sektiererische, sittlich minderwertige kulturelle Gemeinschaft angesehen wurde, die es zu überwinden galt. Neben dieser neuen Perspektive, die gleichsam eine intellektuelle Unterfütterung antijüdischer Ressentiments bilden sollte, findet sich weiterhin die alte Vorurteilsstruktur gegen das Judentum als destruktive Händlerkaste.

Wie Kant, Hegel und Fichte hegte auch Fries antijüdische Ressentiments, stellt Hubmann fest. Vor allem habe Fries die "Selbstständigkeit und Einheit des deutschen Volks" am Herzen gelegen. Diese habe er geradezu als ethischen Imperativ empfunden und infolgedessen eine "Philosophie der Tat" propagiert. Gerade in seinem Eintreten für gemeinschaftliche "Einigkeit" wurzelt Fries' Abneigung gegen Juden sowie seine Ablehnung der Existenz des Judentums als eigener Kulturgemeinschaft, da diese den Homogenitätskriterien eines christlich-deutsch gedachten Volkstums widerspräche. Folglich verlangte Fries in seiner Schrift zur "Judenfrage" bedingungslos die Konversion von Juden und ihre Assimilation an das christlich-deutsche Volkstum. Gleichheit konnten, Fries zufolge, nur solche Juden beanspruchen, die sich in ihrer Kultur und Religion völlig dem christlich-deutschen Volkstum assimilierten. Fries' Judengegnerschaft, meint der Autor, war nicht mehr traditionell religiös begründet, sondern beruhte auf einem nationalen oder völkischen Motiv. Doch eine biologisch begründete rassistische Trennung habe er noch nicht propagiert. Ihm sei es um totale Integration und damit um sittliche Auslöschung des Judentums gegangen. Gerald Hubmann spricht in diesem Zusammenhang von einem fehlgeleiteten liberalen Engagement, da bei Fries die Idee der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit mehr und mehr ergänzt und ersetzt worden sei durch ein Konzept der Gleichheit auch der Lebensformen.

Almut Rüllmann setzt sich mit dem Verhältnis von Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) zu Juden auseinander. Sie weist darauf hin, dass sein weit verbreiteter Verhaltenskodex "Über den Umgang mit Menschen", der seit 1788 immer wieder neu aufgelegt wurde, auch ein Kapitel über Juden enthält. Allerdings könne bei ihm von einem rassistisch geprägten Antisemitismus nicht die Rede sein. Vielmehr habe Knigge unreflektiert zeitkonforme, überwiegend negativ konnotierte Stereotypen über "den Juden" aufgenommen. Juden erscheinen bei ihm als Hofjuden, Wucher- und Schacherjuden, Hausierer- und Jahrmarktjuden sowie als abergläubische Wanderjuden. Indessen gab Knigge auch zu, dass es selbst unter Juden edel Gesinnte und Tugendhafte geben könne - wie etwa Moses Mendelssohn.

Doch überwiegend zeichnete er ein negatives Bild von der jüdischen Minderheit. Er räumte zwar andeutungsweise ein, dass sie durch die christliche Bevölkerung in diese soziale Randstellung gezwungen worden sei. Statt sich jedoch näher mit der jüdischen Religion und Kultur zu befassen, setzte Knigge oft gezielt ihre negative Darstellung als Betonung christlichen Fehlverhaltens ein, indem er den niederen Klerus lächerlich machte. Offensichtlich handelte es sich bei ihm, wie auch Ruth Klüger annimmt, um eine "gemäßigte Judenfeindlichkeit". Freilich habe man Knigges Einstellung zu Juden, so Rüllmann, bisher wenig Beachtung geschenkt. Seine Auffassungen von Juden gerieten daher noch schneller in Vergessenheit als seine Benimmbücher, die seinen Namen bis heute bekannt machten. Erst die Aufklärungsforschung des 20. Jahrhunderts zieht nun auch sein Hauptwerk in der Originalversion als Forschungsgrundlage heran.

Unter dem Titel "Theoretischer und praktischer Gott" erläutert Martin Damken Salomon Maimons (1753-1800) vielfach widersprüchliche Einstellung zum Judentum. Damken nimmt die Haltung des im polnischen Ghetto aufgewachsenen und zum Rabbiner ausgebildeten jüdischen Philosophen gegenüber dem Judentum unter die Lupe. Hier zeige sich das Doppelgesicht der Aufklärung, die Verbindung des emanzipatorischen Anspruchs mit einem rigoristischen und einseitigen Rationalismus. Maimon, dessen Weg vom orthodoxen Judentum zur Berliner Aufklärung führte, verstand die jüdische Geschichte als Verfallsgeschichte vom vernünftigen Urjudentum bis zur vernunftlosen Erstarrung der jüdischen Religion und Kultur. Maimon sah das Judentum nicht mehr als lebendige Religion an, die sich den Erfordernissen der Zeit anpassen konnte. Universale Vernunft und positive Regelungen traten für ihn im Konkreten auseinander. Damken kommt schließlich zu dem Resümee, dass Maimons Denken durch seinen Versuch, Vernunft und Glauben, ewige Wahrheit und positive Offenbarung miteinander zu versöhnen, antijudaistisch geworden sei.

Insgesamt leisten die vier Preisträger mit ihren gründlichen und oft weit ausholenden Untersuchungen einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung über die Aufklärung.

Titelbild

Bettina Stangneth / Gerald Hubmann / Almut Rüllmann: Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung. Prämierte Schriften des wissenschaftlichen Preisausschreibens "Antisemitische und antijudaistische Motive bei Denkern der Aufklärung".
Herausgegeben von Horst Gronke, Thomas Meyer und Barbara Neißer.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001.
284 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3826021444

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