Hörspiel des Monats

Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt zeichnet im monatlichen Rhythmus ein ›Hörspiel des Monats‹ aus. Das ›Hörspiel des Monats‹ wird aus dem Ursende-Angebot der Rundfunksender der ARD ermittelt. Am Ende einer Sitzungsperiode wird aus den zwölf ausgezeichneten Hörspielen des Monats ein ›Hörspiel des Jahres‹ ermittelt. ›Hörspiel des Jahres 1998‹ war Jan Pilipp Reemtsmas Hörstück "Im Keller" in einer Funkbearbeitung von Charlotte Drews-Bernstein (Regie: Ulrich Gerhardt; Produktion: NDR/SFB/SWF). Jeder Sender der ARD hat die Möglichkeit, sich pro Monat mit einer Hörspiel-Produktion am Wettbewerb zu beteiligen. Der Preis ist ein undotierter Ehrenpreis. Sein Ziel ist es, der radiophonen Gattung ein höheres Maß an kritischem Echo und publizistischer Resonanz zu verschaffen. Die Entscheidungen der Jury werden durch Kurztexte begründet.
Begründung der Jury:

"Jeff Koons" ist eine Chiffre für Kitsch, Kunst und Leben. Von Rainald Goetz als Theaterstück konzipiert, von Oliver Sturm als Hörspiel bearbeitet, führt es in verschiedene Milieus zwischen Diskothek und Vernissage, privatem und öffentlichem Raum. Ein breiter Fächer aus Dutzenden von Stimmen transportiert Mikrogeschichten, die kurz angerissen, aber nicht zu Ende erzählt werden. Es ist eine "Szene"-Welt, die hier entworfen wird: Im Mittelpunkt der Kunst-Szene steht der Maler (Traugott Buhre), der wie ein moderner Rembrandt eine eigene Manufaktur betreibt und "Unterkünstler" beschäftigt, Kultfigur ist und begehrtes Objekt der Medien. Die Techno-Szene wird von Drogen- und Sex-Exzessen dominiert. Auf der Straße schließlich führt sich ein Penner als Gott und Schöpfer allen Lebens auf.
Die kongeniale Umsetzung des Stücks durch das Team von Oliver Sturm erinnert entfernt an den Ansatz des Hörspiels der sechziger und siebziger Jahre, aus Einzelstimmen von der Straße das Gesamtbewußtsein der Gesellschaft herauszufiltern: "Ich war Polizist und bin jetzt bei der Kirche". Aber der Höreindruck dieses Stückes evoziert eindeutig die nüchterne Registratur der neunziger Jahre in all ihrer Lakonie und Ironie. Die Realität der Medien und ihrer Protagonisten kennt keine Moral, die "Kaputtheit" der dargestellten Welt ist ebenso verzweifelt wie gewollt, die Tonleiter des Jammerns und Stöhnens und der Beat und Rhythmus der ausgewählten Musik (viel Rap, viel Techno, kontrastiert durch Melodien für Millionen) sind Zeugen unserer oberflächlichen, lustorientierten und risikofreudigen Welt. Die Sprechweisen der verschiedenen Milieus (Journalisten, Künstler, Penner, Partygänger) klingen authentisch, die "Sätze dieser Tage" werden mit viel Witz und Esprit umgesetzt: Reden macht an, Reden turnt ab, Reden interessiert nicht. Der theoretische Diskurs des Schreibers überzeugt ebenso wie das blasierte "Verstehe" des Kritikers oder das im Abstrakten versandende Kunstgespräch der Vernissagisten. Phrasen sind als Phrasen erkannt und müssen nicht einmal mehr zu Ende geführt werden.
Oliver Sturm und Gerd Bessler gelingt es, mit "Jeff Koons" ein Tableau gegenwärtiger Zustände der Gesellschaft und ein universalpoetisches Konzept hörbar zu machen: Denn der Text von Rainald Goetz ist sowohl Poesie wie Theaterstück, theoretischer Diskurs wie Debatte, gebundene wie alltägliche Rede, Essay wie Monolog und Märchen. Durch die Umsetzung als Hörspiel ist das Stück Feature, Komposition und Tondokument. Mittels Montage werden die akustischen und semantischen Räume effektvoll ausgestaltet und voneinander abgesetzt. Das Hörspiel konstituiert sich im Entwurf, offen fürs Probieren und Ausprobieren, fürs Tasten und Ertasten, fürs Glücken und Mißglücken. Eine große Materialfülle, ein großer Chor der Themen und Stimmen wird hier überzeugend zusammengeführt.

Lutz Hagestedt