Kein Storno beim Porno

Vorbemerkungen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Haben Männer Schwierigkeiten beim Beurteilen erotischer Texte von Frauen? Sind sie ungerecht und überheblich in ihrem Urteil, entwickeln sie einen Geschlechterchauvinismus, der ihre Männlichkeit auf unangenehme Weise herauskehrt? Wilhelm Solms zitiert im Eröffnungsbeitrag zu unserer Erotiknummer einige literaturkritische Stimmen, die diesen Verdacht zu bestätigen scheinen. Der Kritiker Joachim Lottmann (Jahrgang 1956) beispielsweise, der in der "Zeit" den Roman "Relax" von Alexa Hennig von Lange zu rezensieren hatte (vgl. den Beitrag von Gerhart Pickerodt in Nr. 04-1999), habe sich als "älteren Herrn" inszeniert, der nicht wisse, wie er "über so ein Mädchen" (Jahrgang 1973) schreiben solle. Er sah sich offenbar in der Rolle des alten Nabokov, der über den Roman einer "frühreifen Verführerin" zu befinden hat.

Gefordert ist nach wie vor eine politisch korrekte Rezeption erotischer Literatur. Interessant wird es jedoch dort, wo die Texte selbst alles andere als korrekt oder auch nur gut gemeint sind. Ein gern zitiertes Beispiel dafür ist Elfriede Jelineks Roman "Lust", ein "gelungener Porno", wie Jutta Osinski in ihrem Beitrag darstellt, aus feministischer Sicht ein gelungener "Anti-Porno", den die Autorin mit viel Gespür für die Erwartungen des Marktes lanciert hat. Elfriede Jelineks gehört zu den wenigen Romanen, die seit Ende der 80er Jahre in der erotischen Literatur von Frauen Standards gesetzt haben, jedoch nicht auf diesen Teilaspekt des Erotischen (noch dazu von Frauen) reduziert werden können. Ein anderes Buch, "Verführungen", der Wiener Autorin Marlene Streeruwitz zählt ebenfalls dazu. Mit Evelyn Schlag ist eine dritte österreichische Autorin in unserer Ausgabe vertreten: Christina Kalkuhl setzt sich in ihrem Beitrag mit ihren Texten auseinander, die literarisch-biographisch präfigurierte Erotikbeziehungen thematisieren und auf diese Weise den Aspekt des Voyeurismus einmal anders deuten. Zu den Texten, die in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, gehören Birgit Vanderbekes und Judith Hermanns Erzählungen. Sabine Klomfaß beschreibt die Liebeserfahrung der Protagonisten in Vanderbekes "Alberta empfängt einen Liebhaber" als kommunikative Störung, als "Nicht-Küssen-Können".

Die Verfilmung von Erica Fischers Lebens- und Liebesgeschichte "Aimée und Jaguar" erzählt von weibliche Homosexualität vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Deutschland. Birgit Lahham beschreibt, wie sich Probleme tabuisierter Liebe unter dem Druck der Kriegswirren und "rassischer Verfolgung" potenzieren.

Ist in der Rezeption von erotischer Literatur oftmals ein moralinsaurer Ton zu verzeichnen, so sind die Texte nicht selten von unbekümmert-sinnlicher Erzählerlaune geprägt: Weder wollen sie hohe Literatur sein (wie Doris Dörries Erzählungen), noch wollen sie unbedingt breite Leserbedürfnisse befriedigen. Christine Kanz bespricht zwei Anthologien, die das Spektrum heutigen erotischen Schreibens zu zeigen versuchen.

Wie viele feministische Texte von Frauen sind auch die erotischen oder pornographischen nicht selten offensiv zielgruppenorientiert geschrieben und werden auch so vermarktet. In pluralistischen Gesellschaften kann das nicht überraschen. Sehr viel schwieriger ist es in totalitären Staaten wie der ehemaligen DDR, wo Literatur die kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen und damit das politische System zu bestätigen hat. Beth Linklater hat in ihrer Studie über "Constructions of Sexuality in East German Literature" zu zeigen versucht, daß Literatur keineswegs allgemein eine "Ersatzfunktion" zukommt, sondern daß die Experimentierfelder erotischer Literatur hier rigiden Begrenzungen unterliegen und dennoch zur Bereicherung des literarisch Geforderten beitragen.

Neben der deutschsprachigen Literatur, die wir hier - etwas mutwillig, gewiß - unter dem Aspekt des Erotischen zusammengefaßt haben, versammelt diese Ausgabe Rezensionen zu erotischen Texten anderer Literatursprachen sowie zu wissenschaftlichen Studien über erotische Literatur. Der Erotik-Schwerpunkt unserer Doppelnummer geht auf eine Tagung zurück, die Wilhelm Solms im Frühjahr an der Universität Marburg initiiert hat. Die Beiträge wurden für unseren Zweck gekürzt, überarbeitet und auf ein einheitliches Format gebracht. Wir danken allen Beteiligten, die uns unterstützt haben, insbesondere Professor Solms und seiner Mitarbeiterin Christina Kalkuhl, ohne deren Einsatz dieser Schwerpunkt so nicht zustandegekommen wäre.