Die Sache, die man Liebe nennt

Carola Stern skizziert das Leben der Fritzi Massary

Von Anke HeimbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Heimberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob wohl die Bewunderung für "eine Frau, die weiß, was sie will", die also ihren Kleinmädchentraum, eine große Schauspielerin und gefeierte Soubrette zu werden, wahr macht, ausreicht? "Eine Frau, die weiß, was sie will", so lautet der Titel einer berühmten Oskar Straus-Operette, in der Fritzi Massary 1932 die Hauptrolle spielte. Genügen die Begeisterung für die glitzernde Welt der Operette und für das Berliner Theater- und Musikleben der "goldenen" zwanziger Jahre, um eine Biographie über sie, die "berühmteste Operettendiva ihrer Zeit" zu schreiben? Carola Stern, die ihre eigenen kindlichen Bühnenträume längst begraben hat - nicht aber die Faszination für das Theater - und sich statt dessen als Lektorin, Redakteurin und vor allem profunde Biographin u. a. Dorothea Schlegels und Rahel Varnhagens einen Namen machte, wagt mit "Die Sache, die man Liebe nennt" ein Porträt Fritzi Massarys - der "Kaiserin von Berlin". Doch "Was ist geblieben von diesem Leben? Von dieser Kunst, deren Einzigartigkeit heute so schwer vermittelbar ist?" fragt Stern am Ende ihrer gut 340 Seiten starken Biographie die Leser, vielleicht ahnend, dass sie dem Objekt ihrer Begeisterung diesmal nicht gerecht geworden ist. Denn nur in Ansätzen gelingt es ihr, das Besondere, Faszinierende, Schillernde des Bühnenstars Fritzi Massary einzufangen, das Zeitgenossen, Freunde und Bewunderer wie Siegfried Jacobsohn, Alfred Polgar, Felix Salten oder Kurt Tucholsky in Kritiken und Memoiren immer wieder hervorgehoben haben: "Du aber warst das zentrale Gestirn, 'die Sache, die man Liebe nennt', in immer neuen Variationen, und tauftest die unbekümmerte Ausgelassenheit vor dem Ersten Weltkrieg und die unbekümmerte danach auf den Namen Massary", so Ludwig Marcuse, ihr lebenslanger Verehrer und Titelgeber der vorliegenden Biographie. Nur in den seltenen Momenten, wo Stern einzufangen versucht, wie Fritzi Massary auf der Bühne agierte, wie sie - ob als Revuetheaterstar der Vorkriegszeit am Berliner "Metropol" oder als Operettenkönigin im Berlin der zwanziger Jahre - mit dem ihr eigenen Bühnencharme das Publikum verzauberte, gewinnt das Porträt der Aktrice an Schärfe: "Sie war nicht die Schönste, auch nicht die Anmutigste, aber sie war apart. [...] Die Figur? Nicht gerade ideal zu nennen. Die Taille könnte schlanker sein [...], die ganze Dame könnte etwas größer sein für einen Bühnenstar. Aber wie sie die Hüften wiegt, wie aufregend sie über die Bühne schreitet, wie perfekt ausbalanciert die Schritte sind - das beeindruckt. [...] Die Gesten sind sparsam, ein Verziehen der Mundwinkel, ein Achselzucken, eine kurze Handbewegung - oft deute sie, auch in der Mimik, nur ganz fein an, was sie sagen will." Überhaupt ist ihre Stärke die Andeutung: "Graziös setzt sie das rechte Bein vor, hebt den langen, mit schwarzer Spitze abgesetzten Seidenrock bis zur Wade, nimmt den linken Arm seitwärts in die Höhe und spielt mit den Fingern ihrer rechten Hand. Voilà! [...] Ihre Stimme war nicht sehr kräftig. Manchmal klang sie leicht näselnd, ab und zu brach sie auch weg. Aber sie hatte etwas Verheißungsvolles, konnte nuancieren, girren, schmeicheln, seufzen." Berühmt waren Massarys Pausen: "Es kam vor, daß sie eine solche Pause dehnte, bis der neue Einsatz wie eine Erlösung wirkte."

Dass die hier dokumentierte, viel beschworene Einzigartigkeit Fritzi Massarys nur an einzelnen Stellen der vorliegenden Biographie aufblitzt, liegt jedoch freilich nicht daran, dass diese sich "im Vor-Fernsehzeitalter entfaltete", wie Carola Stern entschuldigend vorausschickt. Die Massary-Biographie will vielmehr nicht so recht funktionieren, weil ihre Gesamtkonstruktion nicht stimmig ist. Der Rezipient wird den Eindruck nicht los, eigentlich zwei Biographien vor sich zu haben - die der Massary sowie die ihres Ehemanns, des Schauspielers Max ("Bully") Pallenberg. Vom ersten bis zum letzten Kapitel ist Pallenberg in aller Ausführlichkeit präsent, obwohl er Fritzi Massary lediglich gut zwei - wenn auch unbestritten die prägendsten - Jahrzehnte ihres 92 Jahre langen Lebens begleitete: vom ersten gemeinsamen Theaterspiel 1911 in La Touches "Themidore" unter der Regie von Max Reinhardt bis zum tragischen Unfalltod Max Pallenbergs im Jahre 1934. Möglicherweise plante Carola Stern eine Künstlerpaarbiographie nach dem Modell ihrer 1996 publizierten Biographie der Tänzerin Isadora Duncan und des Dichters Sergej Jessenin. Das jedenfalls würde zumindest teilweise erklären, warum Fritzi Massarys lange Jahre europäischen und US-amerikanischen Exils wie nachträglich angefügt wirken. Dürftig erscheinen hier jedoch die biographischen Informationen, karg auch das verarbeitete biographische Material. Umso mehr Raum nehmen die Massary-Tochter Elisabeth und ihr Schriftstellerehemann Bruno Frank ein, sowie die großen und kleinen Tragödien anderer prominenter Exilanten (Elisabeth Bergner, Fritz Kortner, Max Reinhardt) und die bereits sattsam bekannten Geschichten und Geschichtchen des "Neuen Weimars" am Pazifik, die offensichtlich über die dünnen Exilkapitel am Ende hinweghelfen sollen.

"Was ist geblieben von diesem Leben?" - Carola Sterns Biographie der Fritzi Massary gibt jedenfalls keine überzeugende Antwort auf diese Frage.

Titelbild

Carola Stern: Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000.
377 Seiten, 9,70 EUR.
ISBN-10: 3499225298

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