Die Gräfin zahlt mit wahrer Münze

Franziska zu Reventlow therapiert ihren "Geldkomplex" im "Roman, meinen Gläubigern zugeeignet"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Sanatorium als Welt in der Nussschale, als dem Alltag entrückte und gerade deshalb getreue Miniatur des äußeren Weltgeschehens und des inneren individuellen Lebens - das ist eine höchst belletristische Vorstellung. Sie liegt Thomas Manns "Zauberberg" zugrunde, dem berühmtesten Sanatoriumsroman, zu dessen anstaltsspezifischen Interna neben der Anschauung des Autors auch die ausführlichen Berichte seiner zeitweise lungenkranken Ehefrau Katia beigetragen haben. Das eigentümliche Leben derer "hier oben" zieht den nur besuchshalber auf den "Zauberberg" gereisten Hans Castorp ebenso in seinen Bann wie jene medizinische Disziplin, die im Davoser Haus Berghof ähnlich leidenschaftlich betrieben wird wie die Lungenheilkunde: die "Seelenzergliederung" des Dr. Krokowski, für Zeitgenossen ein zur Kenntlichkeit entstelltes ironisch-distanziertes Portrait der Psychoanalyse und ihrer Adepten.

Auch Franziska zu Reventlows 1916, also vier Jahr nach Thomas Manns Besuch in Davos und acht Jahre vor Erscheinen des "Zauberbergs", publizierter Roman "Der Geldkomplex" konzentriert sich zeitlich und räumlich auf den Handlungsort Sanatorium und spiegelt in seiner Erzählstruktur die Eigenarten des durch Alltagsrituale geprägten Schauplatzes wider. Auch bei Reventlow tritt neben den altmodischen Nervenärzten ein Vertreter der neuen, seit ihrer Entstehung umstrittenen und belächelten Wissenschaft der Psychoanalyse auf. Der Freudianer Bauman gibt sogar das für die Ich-Erzählerin und ihren (Lebens-)Roman alles entscheidende Stichwort: Ihren notorischen Geldmangel, die Angst vor den Gläubigern und die Flucht in das Sanatorium für Nervenkranke diagnostiziert der Psychoanalytiker als Symptome für die Störung einer existenziellen Beziehung, als "Geldkomplex". Und die Heldin muss erkennen: "Ich habe die Sache mit dem Geld niemals ernst genug genommen, ließ es so hingehen und dachte, es würde schon einmal anders werden. Kurz, um mich im Freudianerjargon auszudrücken - ich habe es entschieden ins Unterbewußtsein verdrängt, und das hat es sich nicht gefallen lassen."

Der Geldkomplex, diese so einsichtige Verbindung von Materialität und Mangel, liefert nicht nur den Titel des Romans, sondern auch das Motiv seiner Entstehung. Zum einen simuliert der rückhaltlose Bekenntnisduktus des Briefromans das Ritual der therapeutischen Selbstentblößung, psychoanalytisch gesehen der erste Schritt zur Heilung qua Bewusstwerdung. Zum anderen wird das belletristische Produkt im Untertitel "meinen Gläubigern gewidmet", was in Reventlows Fall wohl weniger romantisches Spiel mit den Grenzen der Fiktionalität als Ausdruck einer ökonomischen Notwendigkeit ist. Beteuert doch auch das belletristische Alter Ego der Autorin, nicht als Schriftstellerin fiktive Literatur zu schaffen, sondern aus ökonomischer Not Autobiographisches literarisch zu Geld machen zu müssen. Das Motiv einer dezidiert nicht-genialischen Selbstinszenierung in einer Zeit, als jeder Künstler sein will, hat den Reiz des Understatements, bleibt aber natürlich eine Konstruktion, der nachzugehen sich lohnte. Leider stellen sich der Klappentext und das Nachwort in den Dienst der Legendenbildung und verzichten auf konkrete Informationen wie die, wann der Roman entstanden und zum ersten Mal erschienen ist, oder Auskünfte darüber, ob die Autorin, die mit Geldnot nur zu vertraut war, auch Erfahrungen mit Sanatorien oder der Psychoanalyse hatte. (Sie hatte.) Stattdessen werden die skandalträchtigen Ingredienzien des Briefromans wie die Scheinehe mit einem baltischen Adeligen als "wahre Episoden" aus dem Leben der Autorin gleich noch einmal geschildert, und zwar so einfühlsam, dass man sich nach dem unsentimental koketten Plauderton der Reventlow fast zurücksehnt. Deren forcierte Leichtigkeit indes hat heute, wo das selbst Erlebte und die schnoddrige Nachlässigkeit schlecht gebauter Sätze als Charakteristika der "jungen weiblichen Literatur" gepriesen werden, nicht mehr den Charme des Neuen, der sie in den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts als angenehm unprätentiös auszeichnete.

Doch zurück zum Geldkomplex. Er bestimmt die Handlungen der Ich-Erzählerin und der Patienten, die sie um sich gescharrt hat, bis schließlich alle Mitglieder des kleinen Zirkels ihre ursprünglichen Leiden vergessen haben und nur noch rechnen, Investitionen in Russland planen, Spekulationen ins Auge fassen, Geldehen beäugen und hintertreiben, Erbschaften erwarten und vor Bankrotten zittern. Denn anders als im "Zauberberg", wo allenfalls Settembrinis abgeschabte Hosen daran erinnern, dass Leben ein wahrhaft kostbares Gut darstellt, beherrscht Reventlows Romanminiatur das Thema, über das man gemeinhin in guter Gesellschaft nicht spricht: Geld. Sein poetischer Ausbruch aus dem Reich des Unterdrückten und Verdrängten verdankt sich den Erkenntnissen der Psychoanalyse und erklärt sich mentalitätsgeschichtlich aus dem Bestreben, die Grenzen der guten (bürgerlichen) Gesellschaft hinter sich zu lassen. Die Verstöße gegen den Comment der besseren Sanatoriumsgesellschaft werden als libertär ausschweifendes Genussleben 'auf Pump' inszeniert und im Jargon der Analyse als therapeutische Versuche dargestellt, den Geldkomplex zu überwinden.

So wenig das Geld bei Reventlow je konkret und in Gestalt exakter Summen, Währungen oder materialer Platzhalter anschaulich wird, so wenig sinnlich wird auch das Leben im Sanatorium, so blass bleiben die Charaktere, so unfassbar ihre Geschichten. "Der Geldkomplex" ist ein kleiner, zuweilen amüsanter Versuch mit einer originellen Grundidee und hübschen Seitenhieben auf (behauptete) Eigenheiten der Freud'schen Psychoanalyse. Man liest ihn nicht ungern, doch der Mangel an Welthaltigkeit und der exaltierte Plauderton führen dazu, dass man - ganz ähnlich wie die Heldin - ihren endgültigen Bankrott mit Erleichterung zur Kenntnis nimmt.

Titelbild

Franziska Gräfin zu Reventlow: Der Geldkomplex. Roman, meinen Gläubigern zugeeignet.
Conzett Verlag, Zürich 2001.
144 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3905267209

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