Um keinen Spruch verlegen

Ein Lexikon der Goethe-Zitate

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Goethe ist in aller Munde. Ob Jubiläum, Hochzeit oder Todestag - nichts schmückt eine Rede besser als ein Spruch des Dichterfürsten. Zu jeder Lebenslage, so gibt es der Deutsche Taschenbuch Verlag vor, ist hier das Passende zu finden. Das also scheint des Pudels Kern zu sein, und was man schwarz auf weiß verlegt, will auch getrost gepriesen sein.

Weit mehr als 15.000 Zitate aus Goethes Werken, Briefen und Gesprächen sind auf über 1000 Seiten versammelt. Im Anhang findet sich außerdem ein nützliches Namen- und Sachregister, darüber hinaus Kurzbiographien zu Brief- und Gesprächspartnern.

Unklar allerdings ist, an wen sich das Lexikon überhaupt richtet. Ist es für den Laien gedacht, der sein Repertoire an Goethe-Zitaten erweitern will? Oder für den Kenner? Am besten jedenfalls ist der bedient, der nichts bestimmtes sucht, sondern zu finden hofft. Geburtstag, Heirat, Schwangerschaft, Ehebruch und Totenfeier - alles ist als Schlagwort aufgenommen. Wie tauglich indes die Dichterverse sind, um bei Festivitäten Ruhm und Ehre einzuheimsen, bleibe dahingestellt. "Dich hat die Hand der Venus berührt; sie deutet dir leise, / Daß sie das Körperchen bald, ach! Unaufhaltsam verstellt. / Bald verdirbt sie die schlanke Gestalt, die zierlichen Brüstchen; / Alles schwillt nun, es paßt nirgends das neuste Gewand." Ob das einem schwangeren Gretchen tatsächlich Freude bereitet hätte?

Für Germanisten sind vor allem die gesammelten Aussprüche Goethes über seine eigenen Werke nützlich. Allein zum Faust finden sich rund 50 Einträge. Die Quellenverweise sind dabei so gewählt, daß die Textstellen in möglichst jeder Goethe-Ausgabe zu finden sind.

Sucht der Leser hingegen ein spezielles Zitat, das ihm noch fragmentarisch im Sinn ist, gestaltet sich die Recherche mit dem Lexikon schwierig. Zwar sind die Stichworte meist dem Zitat entnommen, doch der Text erscheint nur unter dem sogenannten "tragenden Begriff", der häufig Ermessenssache ist. Eines der berühmtesten Goethe-Gedichte, "Gingko biloba" aus dem "West-Östlichen Divan", ist beispielsweise nicht unter den Lemmata "Gingko", "Baum" oder "Blatt" zu finden, sondern nur unter "doppelt". Ob man sich aber gerade die letzten Zeilen des Gedichts - "Fühlst Du nicht an meinen Liedern, / Daß ich eins und doppelt bin?" - behalten hat, ist fraglich. Querverweise wären daher hilfreich.

Vertrackt gestaltet sich auch das Suchen nach Goethes vielzitiertem Spruch "Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst". Wer unter dem Stichwort "Geheimnis" forscht, wird scheitern, denn er ist unter "Natur" vermerkt. Dort allerdings erschlägt eine 17 Spalten umfassende Aufreihung zum Naturbegriff. "Natur allgemein", "Natur und Geheimnis", "Natur und Kunst" - wo soll da die Suche beginnen? Naheliegend wäre "Natur und Geheimnis", zu einleuchtend wohl, um das Zitat dort zu verzeichnen. Erst in der zwölften Spalte, unter "Natur und Kunst", ist es aufgeführt.

Wer das Nachschlagewerk also zum raschen Finden verwenden möchte, dem sei Vorsicht angeraten. Das Nachforschen unter dem betreffenden Stichwort im Register einer Goethe-Werkausgabe kann vielleicht schneller zum Erfolg führen als die Zuhilfenahme des Lexikons. Zum Schmökern ist es schon eher geeignet, auch wenn die äußerst klein bedruckten Seiten nicht gerade dazu einladen. Hilfreich indes ist das Lexikon für den, dessen Vortrag durch ein gewitztes Zitat des Meisters glänzen soll. Denn auf die Stichworte ist Verlaß, und keines scheint zu ausgefallen, sei es nun Knabenliebe, Schlendrian oder Wünschelrute.

Titelbild

Richard Dobel: Lexikon der Goethe-Zitate.
dtv Verlag, München 1995.
1307 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3423033614

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