"Ich kann kein Mitglied sein"

"Ein Jahr mit Thomas Bernhard" gelesen von Karl Ignaz Hennetmair und Peter Simonischek

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karl Ignaz Hennetmairs notariell versiegeltes Tagebuch von 1972 enthält Wichtiges und weniger Wichtiges, auf jeden Fall aber Amüsantes und Interessantes über seine Freundschaft mit Thomas Bernhard (siehe auch Rezension von Ulrich Rüdenauer in literaturkritik.de Juni 2001). Schnell wird klar, dass sich seine Aufzeichnungen nicht nur an die Bernhardleser und -forscher richten, sondern auch einem breiteren Publikum Freude bereiten werden, das Bernhard vielleicht gar nicht kennt und für eine Hörbuch-Adaption dankbar ist.

Nun liegt also eine Doppel-CD mit Auszügen aus "Ein Jahr mit Thomas Bernhard" vor, gelesen von einem schön grantelnden Peter Simonischek und Karl Ignaz Hennetmair selbst. Im konkreten Fall ist es gelungen, ein 600 Seiten starkes Buch auf die Spielzeit einer Doppel-CD zu komprimieren, ohne dass man beim Hören den Eindruck gewinnen muss, der Wert dieser Adaption sei einzig ein kommerzieller. Das Gegenteil ist der Fall, sogar wiederholtes Hörvergnügen mag sich einstellen.

Geradezu göttlich, wie Hennetmair den großen Misanthropen und Autor, der niemals Schriftsteller genannt werden wollte, als Privatmenschen schildert, der rülpst und furzt, seine eigene Beerdigung inszeniert und sich diebisch freut, wenn einer seiner schärfsten Konkurrenten im Streit um den ersten Platz im literarischen Leben Österreichs das Zeitliche segnet. Die Rede ist von Heimito von Doderer. Als Makler verhalf Hennetmair dem Freund nicht nur zu seinen drei Häusern in Oberösterreich, sondern diente Bernhard auch als Schnittstelle zu einer Außenwelt, die mit allerlei profanen Alltagsgeschäften aufwartete, welche der Autor zu verrichten nicht in der Lage oder nicht willens war. Zu einer wahrhaft paranoiden Posse etwa wuchs sich die Affäre um ein defektes Fernsehgerät aus. Bernhard befürchtete eine Art Vorführdefekt, sobald er das Gerät zur Reparatur ablieferte. Dort würde das Gerät völlig normal funktionieren und er würde vor den Einheimischen einmal mehr als Depp dastehen. Überhaupt fürchtete Bernhard permanent, von Handwerkern und Verkäufern "ums Ohr gehauen" zu werden und beauftragte deshalb Freund Hennetmair mit solchen Geschäften, der dann freilich auch der Schuldige war, wenn doch etwas schief ging.

Am schönsten sind jene Episoden, die Bernhards eigenwilliges Verhältnis gegenüber einem eitlen und selbstverliebten Literaturzirkus dokumentieren. Preise nahm er freudig entgegen - in Form von Überweisungen aufs Konto, versteht sich -, Dankesreden und Gefälligkeiten jedoch verachtete er. So erfüllte ihn zwar die Berufung zum "Korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" mit einem gewissen Stolz, gleichzeitig schreckte ihn die Vorstellung eines zu entrichtenden Mitgliedsbeitrags und anderer Verpflichtungen dermaßen ab, dass es für ihn am Ende nur heißen konnte: "Ich kann kein Mitglied sein, ich muss das rückgängig machen." Stattdessen lieber mal bei seinem Verleger Siegfried Unseld, bei dem er Narrenfreiheit genoss, 10.000 Schilling einfordern, um die strapazierte Habenseite seines Kontos zu entlasten.

Thomas Bernhard war nicht nur ein begnadeter Autor, sondern auch ein Menschenhasser, ein Lästermaul, ein Geizhals, ein Feigling. Literatur über Literatur, das zeigt Hennetmairs Tagebuch auch in der Hörbuchfassung, muss nicht immer den schalen Geschmack akademischer Selbstgenügsamkeit verbreiten. Sie darf auch unterhalten.

Titelbild

Karl Ignaz Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972 2 CD.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2001.
25,50 EUR.
ISBN-10: 3455302734

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