Blut ist dicker als Wasser

Michael Ondaatje auf der Suche nach seiner ceylonesischen Vergangenheit

Von Gesa HinrichsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gesa Hinrichsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was liegt von unserer Familie in uns und was von uns in ihr? Eine Frage, die wohl nie zur Gänze beantwortet werden wird, aber Michael Ondaatje hat den Versuch gewagt und sich auf die Suche nach seinen Wurzeln gemacht. Er hat sich nach Ceylon begeben, "zu jenen Verwandten aus der Generation [s]einer Eltern, die [ihm] im Gedächtnis standen, wie eingefrorene Figuren einer Oper. [Er] wollte sie zu Worten rühren", um die Geschichte aufzuarbeiten und das exzentrische Leben der zwanziger Jahren nachzuzeichnen. Ondaatje selbst ist holländisch-tamilisch-singhalesischer Abstammung und wurde 1943 auf Sri Lanka geboren. Nach seiner Schulausbildung in England siedelte er 1962 nach Kanada über, von wo aus er 1978 und 1980 nach Sri Lanka aufbrach. "Jedesmal blieb [er] mehrere Monate, reiste allein umher", traf sich mit seinen (Halb-)Geschwistern, und vielen Augen- und Ohrenzeugen der damaligen Zeit. Das Buch ist somit ein Familienkonstrukt, von Michael Ondaatje in Worte gefasst und hin und wieder ein wenig zurechtgebogen. Doch "auf Sri Lanka [ist] eine gut erzählte Lüge soviel wert [...] wie tausend Fakten."

Das Leben der Ondaatjes muss schillernd und verrückt gewesen sein: Mit der Großmutter Lalla, die sich um nichts und niemanden kümmerte, deren größtes Vergnügen es war, aus fremder Gärten Blumen zu stehlen und die das Leben der Familie und ihrer gesamten Umgebung mit ihrer stets präsenten Persönlichkeit stark prägte; dem Vater Michael Ondaatjes, Trinker und liebenswerter Chaot, der ebenfalls das Dasein seiner Lieben beherrschte; seiner Mutter, seinen Freunden, Verwandten und Geliebten. Jeden lässt Ondaatje in seinem Buch zu Wort kommen. Von jedem weiß er eine Geschichte zu erzählen oder leiht ihren persönlichen Erinnerungen seine Stimme.

Mittels der Sprache führt Ondaatje den Leser an die Plätze seiner Eltern und seiner Kindheit, so dass man sich das Leben zwischen Teeplantagen und Pferderennen, Regenzeit und Regenwald inmitten von unzähligen Gewürzen und Gerüchen bildlich vorstellen kann. Ondaatje vergisst weder auf die Diskrepanz zwischen den verschiedenen ansässigen Nationen, noch auf die oft ignorante Ächtung anderer Gesellschaftsschichten oder Kasten hinzuweisen. Nicht immer kann er die Aktionen seiner Familie gutheißen, doch selbst die kritischste Bemerkung hat noch eine liebevolle Färbung. Wahrscheinlich hat Michael Ondaatje als Kind von der Zunge des Thalagoya gekostet, denn "[v]iele Jahre später wird dies eine verbale Brillanz zeitigen, auch wenn diese manchmal mit schlechtem Benehmen einhergeht."

Titelbild

Michael Ondaatje: Es liegt in der Familie. Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
dtv Verlag, München 1994.
212 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3423124253

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch