Leere Versprechungen

Frank Thomas Brinkmann über Comics und Religion

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Immer schielt er, in die Gottesecke.“ (Elias Canetti)

Mitte der 70er Jahre entdeckte die Geisteswissenschaft die Pop-Medien, darunter die Comics. Dominierten Anfangs v. a. soziologische Untersuchungen das Feld – etwa zur Gefährdung Jugendlicher durch Comic-Lektüre – , so rückte mit der Wiederentdeckung der allgemeinen Medientheorie Walter Benjamins (in dessen Fragmenten sich herrliche Notate zu Mickey Mouse finden) und der Übersetzung französischer Theoretiker auch die Ästhetik des Mediums in den Mittelpunkt. Zahlreiche Einzeluntersuchungen folgten.

Nun legt ein Theologe eine solche Detailarbeit mit dem Titel „Comic und Religion“ vor. Um die Kritik gleich vorweg zu schicken: das Buch wird seinem Titel in keiner Weise gerecht. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen beschränkt sich der Autor fast ausschließlich auf amerikanische Massenzeichenware. Das mag gerechtfertigt erscheinen, verengt jedoch den Blickwinkel erheblich. Zudem kann man die Ästhetik dieser Erzeugnisse recht schnell analysieren und festmachen. Das ungleich breitere Spektrum etwa der europäischen Comic-Avantgarde bleibt unausgereizt. Zum anderen geht es Brinkmann gar nicht um Religion oder Religionen, sondern um das (protestantische) Christentum.

Des weiteren fällt das Fehlen wichtiger Sekundärliteratur aus dem französischsprachigem Bereich ins Auge. Francis Lacassin wird zwar ständig zitiert (wenn auch nur in der oberflächlichen Verwendung seines Begriffs von der „neunten Kunst“), direkt tritt sein Buch aber nicht in Erscheinung. Jean-Bruno Renard findet eben so wenig Erwähnung wie ausgewählte Fachartikel aus angesehenen Comiczeitschriften.

Darüber hinaus sticht die unzureichende Aufmachung des Buches ins Auge: Wer über Comics arbeitet, sollte das ihnen relevante Zitationssystem verwenden. Eine ästhetische Analyse des Bildes sollte im Vordergrund stehen (wobei mit Bild Einzelpanels ebenso gemeint sind wie der Gesamtaufbau der Seiten). Statt dessen zitiert Brinkmann die Sprechblasen, gibt Inhaltszusammenfassungen und bezieht sich auf von außen herangetragene Theorien (Luckmann, Geertz). Die können dem Medium aber nicht gerecht werden, dazu müsste man eine ästhetische Umwertung der Inhalte vornehmen.

Das mangelnde Bewusstsein der ästhetischen Theorie führt dann auch dazu, dass Brinkmann glaubt, die Comicgeschichte von Anfang an aufrollen zu müssen. Zudem hängt er dem Konzept der strikten Trennung von Hoch- und Populärliteratur innerhalb der Gattung Comic nach. So unterscheidet er Autorencomic von Seriencomics, ohne daraus eine ästhetische Metatheorie abzuleiten. Gerade in den (auch grafisch) unterschiedlichen Repräsentationsformen läge jedoch das Potential eine ausgreifende Theorie der „Populärmedien“ zu begründen.

All diese ungenauen, am Thema vorbeischielenden Blicke führen letztlich dazu, dass der Pfarrer Brinkmann von einer im Menschen angelegten „religiösen Struktur“ sprechen kann. Deshalb seien Comics zwar nicht religionsproduktiv, aber wenigstens religionskonservierend. Dabei dient die Bezüglichkeit als Nachweis der Rekonstruierbarkeit der Religion im Comic. Anders ausgedrückt: dadurch, dass wir lesen, setzen wir uns in Bezug zum Medium. Wir würden durch diese Lektüre nach unserer Geschichte und unserer Bedeutung fragen, und das seien religiöse Grundschemata. Der Wille zur Rekonstruktion dieses Umstandes prägt in beinahe schmerzhafter (da enervierender Weise) das ganze Buch. Der Blick über den eigenen weltanschaulichen und ästhetikgeschichtlichen Tellerrad vermag es nicht zu leisten und in diesem Sinne schielt der Autor nicht nur in die Gottesecke.

Titelbild

Frank Thomas Brinkmann: Comics und Religion. Das Medium der "Neunten Kunst" in der gegenwärtigen Deutungskultur.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1999.
237 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 317016094X

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