Der kranke Klabund und die Editionen seiner Werke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der romantische Mythos von der genialisierenden Kraft der Tuberkulose verlor seine Anziehungskraft, als die Chemotherapie der Krankheit ihre Bedrohlichkeit nahm. Eine exemplarische Verkörperung fand er noch einmal in dem Dichter Klabund. Mit sechzehn Jahren an der "Schwindsucht" erkrankt, verbrachte er lange Zeit seines kurzen Lebens in Sanatorien. 1928, vier Jahre nach Erscheinen des "Zauberbergs", starb er mit siebenunddreißig Jahren in Davos.

Ungefähr zu der Zeit, als Thomas Mann seinen Roman zu schreiben anfing, begann Klabunds Karriere zu einem der populärsten Autoren seiner Zeit. Innerhalb von sechzehn Jahren veröffentlichte er in einer von Krankheit und drohendem Tod stimulierten Besessenheit über siebzig Bücher, darunter zehn Romane, acht Dramen, neunzehn Gedichtbände sowie eine Vielzahl von Erzählungen und Nachdichtungen östlicher Lyrik. Gottfried Benn, der den Schulfreund in seiner Totenrede einen "Krankheitskameraden" von Jens Peter Jacobsen und Chopin nannte, gab eine Schilderung dieser fieberhaften Produktivität: "Die schönsten Jahre waren wohl die, als er, bald nach dem Krieg, in Berlin in einer kleinen Straße des Südwestens wohnte, in einem kleinen Zimmer, das nur ein Fenster hatte und kein Bett; er schlief auf einem Sofa, und wenn man vormittags ihn besuchte, lag er auf diesem Sofa ganz bedeckt von Manuskripten, Zeitungen, Briefen und Journalen und arbeitete rastlos und fieberhaft, wie er es sein ganzes Leben lang tat."

Dass das Interesse stets auch seiner Person galt, dazu hat Klabund mit Mystifikationen der eigenen Existenz systematisch beigetragen. Sein Ruhm wurde durch Alfred Kerr, der ihn entdeckte, und durch einen Staatsanwalt, der an obszönen und blasphemischen Stellen seiner Gedichte Anstoß nahm, entscheidend befördert, und er begann mit einem inszenierten Verwirrspiel um das Pseudonym, das sich Klabund, der eigentlich Alfred Henschke hieß, zugelegt hatte. Welchen Kult er mit diesem Namen trieb, zeigt schon der wie ein Fanfarenstoß klingende Titel jenes Gedichtbandes, der ihn 1913 bekannt machte: "Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!" Sich zu einer Mischung aus Klabautermann und Vagabund zu stilisieren war eine der Rollen, die er spielte. Dazu passte auch die andere Bedeutung, die er dem Namen gab: "Mein Name Klabund. / Das heißt: Wandlung."

Klabund präsentierte sich in ständig wechselnden Rollen: als Kranker in den drei "Romanen der Sehnsucht", die vor Thomas Mann das morbide und erotisierte Milieu der Sanatorien schilderten; als anarchischer Vagabund in dem fast zeitgleich zu Brechts "Baal" entstandenen Eulenspiegel-Roman "Bracke"; als Bohemien in dem kleinen Schwabinger Liebesroman "Marietta" oder als engagierter Intellektueller, der 1917 Kaiser Wilhelm II. in einem offenen Brief zum Verzicht auf seine Macht, zur Beendigung des Krieges und zur Demokratisierung Deutschlands aufforderte.

Klabund war ein glänzender Stimmenimitator. Als Lyriker, Kabarettist und Liedermacher näherte er sich den Versen Brentanos oder Heines ebenso wie denen eines François Villon, Frank Wedekind oder Jakob van Hoddis. Er gab sich mal fromm, mal frivol; in der Pose des Provokateurs agierte er ebenso gerne wie in der des Naturschwärmers oder des gelassenen Weisen. Seine kongenialen Nachdichtungen japanischer und chinesischer Liebeslyrik sowie die auf den Bühnen ungemein erfolgreiche Bearbeitung des chinesischen "Kreidekreises" hatten wesentlichen Anteil an der auch von Döblin, Hesse oder Brecht vorangetriebenen Aneignung fernöstlicher Kultur.

Klabunds Werk ist geprägt vom Stilpluralismus der literarischen Moderne. Mit ihr opponierte er, Benns Totenrede hob es hervor, gegen die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse der westlichen Zivilisation. "Je maschineller und mechanischer, je lauter und reklametoller das äußere Leben sich gestaltete, umso inniger offenbarte sich der Geist der neuen Dichtung." So charakterisierte Klabund einen Teil seiner selbst. Klabund steht heute im Schatten Wedekinds, Thomas Manns und seines Freundes Brecht, den er förderte und mit dem er konkurrierte. Doch hat die spielerische Leichtigkeit seiner Dichtungen, die einer existentiellen Verzweiflung abgerungen war, nach wie vor eine Anziehungskraft, der es sich auszusetzen lohnt.

Was heute auf dem Buchmarkt von Klabunds Werken angeboten wird, ist dazu jedoch nur begrenzt geeignet. Kaum waren 1998, 70 Jahre nach dem Tod des Autors, die Rechte an seinem Werk frei, begannen gleich zwei Editionsprojekte miteinander zu konkurrieren. Das editionswissenschaftlich ambitioniertere, das auch den Nachlass umfassen sollte, hatte, an der Freien Universität Berlin von Hans-Gert Roloff verantwortet, mit vier von insgesamt 18 vorgesehenen Teilbänden der "Sämtlichen Werke" einen guten Start. Es macht jedoch keine sichtbaren Fortschritte. Ob es sein Ziel je erreichen wird, erscheint inzwischen zweifelhaft. Ein Blick auf die veraltete Homepage des Projekts (http://userpage.fu-berlin.de/~nylk/Klabund/Welcome.html) bestätigt diesen Eindruck.

Dass der Heidelberger Elfenbein Verlag damals unabhängig von dem Berliner Editoren-Team eine achtbändige Ausgabe projektierte, erschien manchem unsinnig und überflüssig. Inzwischen kann man dafür dankbar sein. Die von Christian von Zimmermann herausgegebene Ausgabe ist mittlerweile nahezu abgeschlossen. Band 7 erschien 2001, der letzte Band soll noch im März dieses Jahres vorliegen. Die Ausgabe enthält die zu Lebzeiten publizierten Romane, Erzählungen, Dramen, Gedichte, Nachdichtungen, Übersetzungen, Aufsätze und andere Prosa. Alle Texte werden in den Fassungen der Erstdrucke wiedergegeben und mit textkritischen Kommentaren versehen, die auch über Abweichungen späterer Textversionen informieren. Das ist sogar für elementare literaturwissenschaftliche Bedürfnisse einigermaßen ausreichend.

Auch diese Ausgabe ist mit ihren leinengebundenen und fadengehefteten Bänden allerdings zu teuer, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Dem Verlag scheint das bewusst zu sein. Schon jetzt verspricht er: "Die Werkausgabe kann voraussichtlich 2003 - im 75. Todesjahr Klabunds - zu einem reduzierten Preis bezogen werden." Der Wiederentdeckung Klabunds durch die Leser stünde dann nichts mehr im Wege.

Thomas Anz

Titelbild

Klabund: Werke in acht Bänden. Band 1. Romane der Erfüllung. Bracke. Borgia.
Herausgegeben von Christian von Zimmermann.
Elfenbein Verlag, Heidelberg 1998.
243 Seiten, 65,00 EUR.
ISBN-10: 3932245113

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Titelbild

Klabund: Werke in acht Bänden, Band 7. Übersetzungen und Nachdichtungen.
Herausgegeben von Christian von Zimmermann.
Elfenbein Verlag, Heidelberg 2001.
350 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-10: 3932245202

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