Städte, Länder, Flughäfen

Christoph Peters führt uns in seinem Erzählungsband "Kommen und gehen, manchmal bleiben" an Sehnsuchtsorte

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich müsste er sich ja freuen. Seine Frau Ilse wartet mit den Kindern am Flughafen, die Geschäftsreise nach Ägypten ist überstanden, erfolgreich obendrein. Aber da ist nichts. Nur ein ruheloses Gefühl, in das er sich verheddert hat. Nichts, was sich recht formulieren ließe, sondern etwas unbestimmbar Nagendes, angesiedelt zwischen Verachtung, Neid und Trostlosigkeit. Er fährt die Kinder an, er ist nervös, weiß, dass seine Frau und er miteinander schlafen werden, wenn sie zu Hause sind. Routine. Verzweifelt überlegt er, wie er schnellstmöglich aus dieser Vorhersagbarkeit seines Lebens ausreißen kann. "Wahrscheinlich", sagt er, "muss ich nächste Woche für länger fort."

Sein Kollege Achim dagegen, ein bisschen älter, begrüßt seine Frau Annerose überschwänglich, "schiebt ihr die Zunge in den Mund, als wolle er sie auf der Stelle nehmen." Beneidenswert nennt Ilse das auch noch. Wenn die wüsste: Achim hatte in Ägypten eine kurze, aber heftige Affäre mit der Dolmetscherin Sarah, deren warme Augen es auch dem Protagonisten angetan haben. Diese Episode spielt sich in seinem Kopf noch einmal ab und wirbelt etwas auf und durcheinander: Seine Unzufriedenheit mit der eigenen Mutlosigkeit und Stagnation kommt ihm bleischwer zu Bewusstsein. "Ich will ein Taxi nehmen und in irgendein Hotel fahren, wo Ruhe ist, nur Ruhe."

Der Flughafen bietet die ideale Szenerie für diesen flirrenden, erbärmlichen Zustand des inneren Aufruhrs: Das rätselhaft Aufwühlende, das Christoph Peters' Geschichten suggerieren, lebt von solchen Nicht-Orten. Ohne emotionalen Aufwand dringt man kaum in diese Zwischenwelten ein, in der zwei Ebenen, zwei Sätze, zwei Geschichten aneinander stoßen, wo sich die Sehnsüchte der Protagonisten plötzlich nicht mehr in eine ungefähre Übereinstimmung mit dem Gegebenen bringen lassen, sondern eine trostlose Leere entsteht. Eine eigentümliche Ortlosigkeit: In welchen Winkeln dieser Welt sie auch suchen, die Figuren finden vor allem sich selbst nicht mehr recht wieder. Manchmal verlieren sie darüber fast den Verstand. Folgt man den handelnden Personen auf ihren (transkontinentalen) Ich-Erkundungen in dieses Zwischen den Orten, wird es interessant, nicht selten sogar spannend.

"Kommen und gehen, manchmal bleiben" hat Christoph Peters seine Sammlung von vierzehn Erzählungen etwas poetisch gewunden und zugleich treffend betitelt. Die Geschichten führen nach Afrika, in den Nahen Osten, auf Flugplätze, die Peters von seiner früheren Arbeit als Fluggastkontrolleur am Frankfurter Flughafen bestens kennt, oder auch an den Niederrhein, wo bereits sein erfolgreiches Romandebüt "Stadt, Land, Fluss" verortet war. Aber sie handeln eigentlich von einer verlorenen Heimat, von Grenzbereichen: von Liebesbeziehungen, die ins Nichts laufen, Biografien, die immer haarscharf aneinander vorbei geschrammt sind, vom radikalen Ausbruch eines Gequälten, der schließlich der Gewalt freien Lauf lässt.

Peters verfügt über ein großes Repertoire an Erzähl-Techniken, das mal mehr, mal weniger souverän zum Einsatz kommt. In "Der Krieg" versucht der Autor die mit einem Schlag ins Gesicht endende Begegnung zwischen einem deutschen Arzt und einer Ärztin in Ghana durch die einmontierte Darstellung des Existenzkampfes von Termiten- und Ameisenvölkern symbolisch aufzuladen. Das bleibt unscharf und bemüht; das unterirdische Geschehen dringt nicht bis an die Oberfläche der eigentlichen Erzählung vor. Ganz anders funktioniert die Montage in der schon erwähnten Ägypten-Geschichte "Der Dattelhain": Der Erzähler wird auf einer Busfahrt zum Zeugen der Annäherungsversuche seines Kollegen Achim. Eine Sitzreihe vor ihm tastet sich dessen Hand immer weiter an Sarahs Körper entlang. Zugleich läuft die durchquerte Landschaft wie ein Film am Erzähler vorbei, die Eindrücke verwischen, er lenkt sich nur ungenügend von dem ab, was ihn peinigt: die Innigkeit des eifersüchtig beobachteten, heimlichen Paares. "Ich hörte, wie Sarah Rückenschmerzen sagte und Achims Lieblingswort Bandscheibenvorfall. Ein Dutzend staubige Palmen und graues Gestrüpp bildeten eine Art Oase, aber ich sah weder eine Wasserstelle noch Brunnen. Unmittelbar daneben flattrige schwarze Zelte, Wellblechhütten, ein neuer roter Landrover. Ich hatte Sarah höchstens auf fünfunddreißig geschätzt. Am Straßenrand lag ein toter Schakal oder Fuchs. (...) Ich schaute zweimal hin: Achims Hand befand sich mittlerweile auf einer Höhe mit Sarahs Lendenwirbeln, die nur noch eine Daumenlänge von der Lehne entfernt waren, und er begann, ihre Schmerzpunkte mit seinen Fingern einzukreisen (...)."

Peters' Erzählungen entwickeln sich aus Bruchstellen. Da gibt es einen jungen Mann, der alles aufgibt, um sich auf die Suche nach seiner Freundin zu machen. Die wiederum ist aufgebrochen, um ihren unbekannten Vater, einen Beduinen - einen Ortlosen - zu finden. In dieses Handlungsgerüst zieht Peters geschickt eine Verstrebung ein, die dem Text weiteren Halt gibt: die knappe Zeichnung einer nach Israel emigrierten Russin, die im Hotel als Zimmermädchen arbeitet. Anhand weniger Anhaltspunkte, wie nebenbei, entsteht so die Geschichte des heimatlosen Mädchens - genauso wie der Erzähler die Geschichte des gesuchten Vaters imaginiert. Hier ergänzen sich die beiden Stränge, die in der Hilflosigkeit des Erzählers zusammenlaufen. Überall lauert in diesen oft nur angedeuteten Lebensbeschreibungen Anlass zu Schwermut und Verzweiflung.

Manchmal schafft es Peters, seine Kulissen präzise fotografisch abzubilden - eingeschobene Snap Shots eines Stillstands, der im Durcheinander der Figuren sein Gegenstück findet, Stillleben, die den immer spürbaren Wirbel der Gefühle veranschaulichen. Mitunter will der Autor allerdings zu viel, etwa wenn er einen Fotografen für die Verbrechen kolonialer Machtpolitik büßen lässt. Das wirkt überladen von einer Idee, der weder die Geschichte noch die Figuren gerecht werden können. Und manchmal will er auch zu wenig: In "Der Supermarkt" schwelgt er in einer schwülen Sommerfantasie, die (ironisch) mit exotischen Stereotypen arbeitet und mit einem Fick im Abstellraum endet.

Ähnlich plump geht es auch am bürgerlichen Mittagstisch zu. Die Einladung des Schwiegersohns in spe setzt beim Essen eine Mutter-Suada in Gang, die alle Grausamkeiten einer kleinbürgerlichen, peripher mit Bildung in Berührung gekommenen Welt vor dem Kandidaten ausbreitet. Der Liebhaber der Tochter hält das aus. Man weiß nicht, ob eine große Duldsamkeit dahinter steckt oder Resignation. Die Konjunktiv-Tirade wälzt sich klischeehaft über die Seiten. Plötzlich kehrt sich der Text gegen den Autor, wirkt müde denunziatorisch, wie harmloses Kabarett, und das auch noch ohne Pointe.

Fingerübungen wie diese finden sich bei Peters öfter. Aber nicht selten verselbstständigt sich sein Formwille zu einer sehr eindrücklichen, wehmütigen Stimmung, am gelungensten vielleicht in der anrührenden Liebesgeschichte "Ria und Grete". Wenn das geschieht, wird das Talent des Autors erkennbar. Dann gelingt es ihm ganz selbstverständlich, mit bestechender Prägnanz und Einfachheit den Gefühlen seiner Protagonisten nahe zu kommen und eine glückende Skizze aufs Papier zu werfen. Davon träumt auch der Maler in einem der Texte: "Es bedarf großer Übung, Bewegungsabläufe mit einem Strich festzuhalten. Insbesondere die Schubkräfte, die der Körper auf einen Gegenstand richtet, sind schwer einzufangen."

Titelbild

Christoph Peters: Kommen und gehen, manchmal bleiben. Vierzehn Geschichten.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2001.
186 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3627000854

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