Der lange Weg des neuen Menschen

Einige Bemerkungen zur Auseinandersetzung mit Kuba

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seguiremos adelante

Como junto a ti seguimos

Y con Fidel te decimos:

¡Hasta siempre comandante!

Im Westen ist es ein wenig verstummt, das Lied vom comandante Che Guevara, in Kuba ist es nach wie vor ein identitätsstiftender Teil des Alltags. Überall begegnet man "El Che": Nicht nur als plumpe Parole der Partei. In zahllosen Wohnungen hängt an prominenter Stelle das Bildnis des Ernesto Guevara de la Serna. Er ist gewissermaßen auch ein Symbol für die Ambivalenz des Landes. Auf der einen Seite ist Kuba die "Insel im Meer des Kapitalismus" (Fidel Castro), eine der letzten Bastionen des Sozialismus, Traumland und Vorbild vieler Linker. Es ist der David im Kampf gegen den übermächtigen Goliath, das kleine Land, das sich gegen die USA stellt und von den Machthabern in Washington mittels einer unmenschlichen und völkerrechtlich bedenklichen Blockade gegängelt wird. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet die Insel in eine tiefe Krise, die "Sonderperiode in Friedenszeiten" wurde ausgerufen; zwei Drittel des Außenhandels brachen weg, das Wirtschaftsniveau sank zum Teil unter das von 1959. Schlangen vor leeren Geschäften, Rationierung der Lebensmittel, der Zerfall ganzer Stadtteile und der Zusammenbruch des öffentlichen Verkehrs prägen auch in der Gegenwart noch das Leben in Kuba. Doch gibt es Anzeichen einer Konsolidierung. Das sozialistische Kuba erweist sich als erstaunlich zäh, der Kampf für ein besseres Dasein, die immense Solidarität der Bevölkerung macht sich bemerkbar; der von Che propagierte "neue Mensch" - sollte es ihn wirklich geben?

Auf der anderen Seite wird uns ein nahezu unpolitisches Kuba propagiert. Es ist eine Art Abziehbild, das einem Hochglanzprospekt zu entstammen scheint: traumhafte Strände, schöne Menschen, Rum, Sonne und Salsa. Dazwischen greise Musiker, die die Erinnerung an die "Glanzzeiten" wach halten, als Havanna ein einziger Amüsierbetrieb war. Es ist das Kuba der Touristen, die mit harten Dollars allen nur erdenklichen Luxus erhalten, ein Traumziel in der Karibik, das den grauen Alltag vergessen macht. Eine Welt, von der der gemeine Kubaner ausgeschlossen ist und die eher ein Zerrbild transportiert.

Der Kubaboom der letzten Jahre, ausgelöst durch das "Buena Vista Social Club"-Projekt des Amerikaners Ry Cooder und die Dokumentation von Wim Wenders, hat auch Deutschland wie ein Hurrikan überrollt. Überall konnte man plötzlich kubanischen Son hören, Ibrahim Ferrer und Omara Portuondo schmachteten "Silencio" aus dem Radio, zahlreiche Bücher erschienen, eine Unmenge an Reiseführern und Bildbänden fanden sich in den Regalen der Buchhändler ein.

Nachdem sich das Ganze etwas beruhigt hat und der Hype sich merklich verringert, ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was hat der Boom bewirkt? Hat die kubanische Literatur Fuß gefasst?

Das Hauptaugenmerk des Kuba-Schwerpunktes gilt der kubanischen Literatur, besonders der in Kuba lebenden Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Bekanntere Namen wie Jesus Diaz ("Erzähl mir von Kuba"), Abilio Estevez ("Dein ist das Reich"), Carilda Oliver Labra ("Um sieben in meiner Brust") und Ana Menendez ("Damals in Kuba") werden ebenso vorgestellt wie hier zu Lande nahezu Unbekannte wie Mirta Yanez ("Havanna ist eine ziemlich große Stadt"), Maria Morgado ("Erotische Notizen aus Little Havanna") und der nun erstmals in deutscher Sprache erschienene Roman "Schmutzige Havanna Trilogie" von Pedro Juan Gutierrez. Von politischer Seite nähern sich Hernando Caldo ("Originalton Miami"), Jorge Castañeda und Elmar May mit ihren Biographien über Che Guevara, einen geschichtlichen Überblick bietet Michael Zeuske mit seiner "Kleinen Geschichte Kubas", demographische Daten können in "Kuba heute" eingesehen werden. Die Lust auf Bilder wird von den beiden hervorragenden Bildbänden "Die Frauen von Havanna" und "Salsa einer Revolution" befriedigt.

Aktuelle Informationen über Kuba sind in Deutschland nur sehr spärlich zu bekommen. Wer sich nicht an spanischsprachige Publikationen herantraut, kann sich mittels der deutschsprachigen internationalen Ausgabe der Staatszeitung "Granma" oder der "Cuba Libre" informieren, auch wenn die "Granma" ideologisch nicht gerade als neutral bezeichnet werden kann.

Angesichts der Auswahl an Themenbereichen in diesem Schwerpunkt kann sich der Leser selbst ein Bild machen von der Vielfalt an Literatur, den politischen und ideologischen Begebenheiten, kann das wahre Kuba hinter den verschiedensten Masken entdecken. Kuba ist weitaus mehr als ein tropisches Urlaubsparadies, mehr als ein Bollwerk des Sozialismus, es ist ein Land, das bemüht ist, seinen eigenen Weg zu gehen, sei es in der Politik, in der Frage des Internationalismus oder seiner lebendigen Kultur.

"In Kuba, mehr als bei anderen Völkern, bedeutet die Verteidigung der Kultur die Rettung der Freiheit" (Fernando Ortiz).

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Cuba Libre.
Herausgegeben vom Vorstand der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V.
Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, Köln 2002.
3,10 EUR.
ISSN: 01782460

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Granma Internacional. Zeitung aus Kuba und Lateinamerika. Deutsche Ausgabe.
Zeitungsverlag Granma, Havanna 2002.
1,00 EUR.
ISSN: 08644624

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