Zu dieser Ausgabe

Kubas Wege sind mitunter wunderlich - und die der Literatur auch. 1967 erhielt Hans Magnus Enzensberger ein Amerika-Stipendium, ein achtmonatiges Fellowship der Wesleyan University in Connecticut. Doch hielt er es dort nicht lange aus. Empört über die Weltpolitik seines Gastgeberlandes ging er nach Kuba, nicht ohne die Weltöffentlichkeit wissen zu lassen, weshalb: Amerikas verwerfliches Ziel sei die "politische, ökonomische und militärische Weltherrschaft".

In den sechziger Jahren war Enzensberger dreimal in die Sowjetunion gereist, hatte in Moskau eine Russin kennen- und liebengelernt und betrieb deren Ausreise in den Westen. Jetzt wollte er den Kubanern die Revolution erklären. Auch hier freilich zeigte er nur wenig Ausdauer. Die Revolution musste sehr bald ohne ihn zurechtkommen.

Der Westen sah es mit Staunen. Immerhin hatte Enzensberger ein Lebensgefühl vieler in die Tat umgesetzt und alle Bürgerlichkeit hinter sich gelassen. Wenigstens auf Zeit. Das, was ihn an Kuba faszinierte, ist auch heute noch Teil des folkloristischen Bildes, das wir von Fidel Castros Insel haben: Kuba gilt uns als Inbegriff der politischen Romantik und des Exotischen, auch politisch Anstößigen und Dekadenten. Einst der Traum eifernder Revolutionäre, heute pittoreskes Urlaubsziel, lebt das Land von seinem Mythos. Wim Wenders und Ry Cooder haben ihn wieder aufleben lassen, diesen Gesang vom Inselparadies, der Musik ist, Erotik und Revolution.

Unser Mitarbeiter André Schwarz, der aus seiner Kuba-Begeisterung nie einen Hehl gemacht hat, plante und organisierte den Schwerpunkt dieser Ausgabe von literaturkritik.de. Wir sind ihm und seinen Beiträgern dankbar für das vielseitige Bild, das sie uns von der Insel entworfen haben. Wie auch sonst üblich bietet auch diese Ausgabe eine Reihe von Besprechungen zur deutsch- und fremdsprachigen Literatur und zu Sachbüchern und wissenschaftlicher Literatur aus den Kulturwissenschaften, der Philosophie und Psychologie, der Gesellschafts- und der Gendertheorie.

Am 2. Mai erscheint die nächste Ausgabe von literaturkritik.de mit einem Lyrik-Spezial.

Lutz Hagestedt